Schriftsteller im Interview Schriftsteller im Interview: Wladimir Kaminer über Alkohol, die AfD und Putin

Wittenberg - Wladimir Kaminer erzählt Geschichten mit einem ganz eigenen Sound. Der Autor russisch-jüdischer Herkunft schrieb Bücher über seine Zeit in der Sowjetunion und den deutschen Alltag. Für sein neues Werk „Die Kreuzfahrer“ (Das Buch bei Amazon finden Sie hier) hat er gewohntes Terrain verlassen und sich auf ein Kreuzfahrtschiff begeben.
Der 51-Jährige erzählt humorvoll und kritisch von kuriosen Begegnungen auf schwimmenden Fünf-Sterne-Hotels und an vermeintlich paradiesischen Orten. Am 22. September, 20 Uhr, stellt der Autor sein Buch in der Phönix Theaterwelt Wittenberg vor. Vorab hat Olaf Neumann mit Wladimir Kaminer gesprochen.
Herr Kaminer, Sie gehen regelmäßig als Unterhaltungsvorleser auf große Fahrt. Welches ist Ihr liebster Ort auf einem Kreuzfahrtschiff?
Wladimir Kaminer: Die Bar. In meinem Buch hebe ich die Bar im Schatten auf Deck 11 hervor. Sie ist für mich wie eine Kapitänsbrücke auf der Arche Noah. Die Welt ist eigentlich nur von der Bar aus zu genießen.
Die Seekrankheit hat schon so manchen Kreuzfahrtpassagier auf hoher See ereilt. Hilft Alkohol dagegen?
Kaminer: Die Bar ist genau der richtige Ort, wenn das Meer unruhig ist. Alkohol macht die Seekrankheit wett. Die Alkoholisierung in Maßen gehört auf jeden Fall zur Kreuzfahrt dazu. Bei Aida ist es nicht so extrem wie bei anderen Anbietern, wo alles inklusive ist. Da wissen die Passagiere oft gar nicht, in welche Richtung sie fahren.
In Ihrem Kreuzfahrer-Buch dreht sich vieles ums Essen und Trinken.
Kaminer: Es gibt ein großes Überangebot, aber ich habe auch sehr dünne Menschen auf Kreuzfahrten gesehen. Man muss nicht alles in sich reinstopfen, was da ist. Auf meiner ersten Kreuzfahrt gab es viele Amerikaner. Die sind beim Essen einfach nicht zu halten. Die Deutschen hingegen können gut auf sich aufpassen, wenn sie trinken, essen oder singen.
Schlemmen Russen genauso gerne wie Amerikaner?
Kaminer: Die Russen tun auf Kreuzfahrten das, was sie immer im Urlaub tun: Sie spielen Tischtennis, sie sitzen im Whirlpool und sie küssen sich. Sie mögen es, wenn es warm ist und blubbert. Darin ähneln sie den Arabern, obwohl die sich in der Öffentlichkeit nicht küssen.
Sie schreiben darüber, wie Michail Gorbatschow einst das Trinkverhalten der russischen Bevölkerung verändern wollte. Wie erfolgreich war er damit?
Kaminer: Ich glaube, damit kann kein Politiker erfolgreich sein. Das Trinkverhalten der Russen ist unveränderbar seit der Gründung des Landes. Als der erste russische Fürst eine Glaubensrichtung für sein Volk wählen musste und sich für das orthodoxe Christentum entschied, obwohl der Islam eine viel größere Stütze hätte sein können, sagte er den Satz: „Das Trinken ist des Russen Spaß!“ Und wenn den Menschen der einzige Spaß geraubt wird, dann kann keine Macht sicher sein, dass sie weiter besteht.
Wann haben Sie das erste Mal Alkohol getrunken?
Kaminer: Mit 14 oder 15, wie alle anderen Menschen auch. Als Kind war ich ein begeisterter Leser, der viele Bücher eigentlich viel zu früh gelesen hat. Unter anderem die Autobiografie von Konstantin Georgijewitsch Paustowski. Ich habe schon früh festgestellt, dass die Biografien von Schriftstellern oft spannender sind als ihre Werke. Deswegen sind auch meine Geschichten alle autobiografisch. Ich konstruiere keine Romane, sondern ich versuche, in meinem Leben und im Leben meiner Mitmenschen etwas zu erkennen, was einen gehobenen Wert hat. Letztendlich bleiben von uns ja nur die Geschichten, wenn sie interessant genug sind. Ich denke, die Kreuzfahrer sind genau solche. Eine Mischung aus Schweinerei und Empathie. Für mich ein sehr liebevolles Buch.
Sie schreiben, die meisten Menschen, die gerade auf dem Weg sind, gehören den zwei größten Gruppen an: Touristen und Flüchtlinge.
Kaminer: Das zeichnet die heutige Welt aus: Das Leben wird in allen möglichen Ecken immer schwieriger, aber das Reisen immer leichter. Es gibt unglaublich viele Flüchtlinge und Touristen. Darum geht es in meinen letzten Büchern.
Mit Metaphern wie „Asyltourismus“ beeinflussen Politiker, was Wähler denken. Warum gehen Menschen überall Hetzern und Populisten so leicht auf den Leim?
Kaminer: Weil die Menschen, selbst wenn sie gar nicht auf Reisen gehen, sich manchmal wie Touristen fühlen. Sie schauen in ihrer Kleinstadt aus dem Fenster und erkennen ihre gewohnte Umgebung nicht wieder. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass viele Menschen zu Reisenden geworden sind, ohne ihre Häuser zu verlassen. Unser Gehirn spielt uns ständig tragische Szenarien einer Fortsetzung vor. Die Menschen drehen durch und denken, morgen müssen sie in eine Moschee gehen. Deswegen wählen sie die AfD. Die enttäuscht ihre Wähler aber, weil dahinter keine vernünftig denkenden Politiker stecken, sondern lauter Spinner.
Es gab auch in der Sowjetunion Kreuzfahrten. Wohin fuhren die Schiffe?
Kaminer: Von Moskau nach Astrachan und zurück, 20 Tage. Dass wir da auch essen und trinken, war nicht vorgesehen. Niemand hat uns versprochen, uns unterwegs zu füttern. Man musste sich Lebensmittel mitbringen oder sie irgendwo finden. Meine Kreuzfahrt fiel in die Zeit des Trockenheitsgesetzes von Gorbatschow. Irgendwie kamen wir aber durch. Wenn ich zurückblicke, wundere ich mich, wie wir in der Sowjetunion überlebt haben. Und das gibt mir die Hoffnung, dass wir auch die heutige Situation irgendwie schaukeln. Die Politiker werden die Welt nicht retten, aber vielleicht die Bürger.
Sie haben seit Ihrer Übersiedlung nach Deutschland viel Kritisches über Putin geschrieben. Trauen Sie sich da noch, mit einem Schiff nach Russland zu reisen?
Kaminer: Ich war schon auf einer Kreuzfahrt nach St. Petersburg. Auf dem Schiff bin ich auf deutschem Territorium. Irgendwann werde ich dort auch mal aussteigen, wenn die Lage in Russland sich beruhigt hat. Zurzeit passiert dort politisch sehr viel. Immer mehr Menschen wird die Hoffnungslosigkeit bewusst, die dieses Regime mit sich bringt. Eines Tages werden das auch die Eliten merken und Veränderungen anstreben. Russland ist ein zu großes Land, um wegen ein paar KGB-Offizieren aus der Vergangenheit unterzugehen.
Und wo gibt es die schönsten Sonnenuntergänge, wo ist das Paradies?
Kaminer: In Warnemünde! Die Menschen dort sind ruhig. Die Natur ist nicht zerstört. Die Häuser sind nicht zu hoch und die Temperatur ist angenehm. Ich komme aus einer solchen Gegend: Moskau.
Ist ein Kreuzfahrtschiff eine ganz eigene Welt?
Kaminer: Ja, aber sie ist durchsichtig. Man leidet auch mit der Welt mit, aber was kann man tun? Einen drauf trinken, dass alles gut geht!
Weitere Termine: 24. Januar 2019 in Halle, 22. März Magdeburg, 25. Oktober Merseburg, 26. Oktober Zeitz, 15. November Bitterfeld; Kartenanfragen bei TiM-Ticket: 0345/202 97 71