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Schloss Charlottenburg Schloss Charlottenburg: Es steht ein Soldat am Wolgastrand

Von Christian Eger 30.01.2008, 18:17

Berlin/MZ. - Siedler und Forscher zog es dorthin, immer kleine Gruppen. Das änderte sich erst am Beginn des 19. Jahrhunderts. Ein Anfang, dem kein Zauber innewohnte.

Weit über 400 000 Soldaten sind es, die Napoleon 1812 gegen Moskau marschieren lässt. Rund 180 000 dieser zwangsrekrutierten Männer stammen aus den verbündeten deutschen Rheinbundstaaten. Nur ein Bruchteil dieser Soldaten, die größtenteils noch nie ihren Heimatort verlassen hatten, kehrte aus der Katastrophe zurück, die Napoleons Ostfeldzug war.

Kälte und Knute

Was die Überlebenden heimtrugen waren Angsterfahrungen, die bis heute das Russlandbild der Deutschen tönen. Schnee und Kälte als Sinnbilder der "russischen Natur", die Urwüchsigkeit der Zivilisation und die Wildheit der Kosaken: Alles das vermengte sich zu einer haltbaren, wenig menschenfreundlichen Einheit. Noch 1943 hatte der "General Winter" die Niederlage der Wehrmacht zu erklären. Ein Begriff, der Russlands Natur, Staat und Gesellschaft schlüssig auf einen Nenner zu bringen suchte.

Was wir heute im Überschwang lieben oder ablehnen, wenn es um Russland geht, sind Varianten dieses altertümlichen Nenners - bis hin zu Franz Lehars "Wolgalied" ("Es steht ein Soldat am Wolgastrand, / hält Wache für sein Vaterland. / In dunkler Nacht allein und fern"). Immer ging mit der Dämonisierung auch die Verherrlichung einher. Da kann um 1918 noch so blutspritzend die "bolschewistische Gefahr" beschworen werden, Liebigs Fleisch-Extrakt wirbt zuverlässig mit Bildchen aus dem wollig-wohligen Bauern-Russland. Diesem Ineinander von Anziehung und Abstoßung begegnet auf Schritt und Tritt, wer durch die gemeinsam vom Deutsch-Russischen Museum Karlshorst und vom Staatlichen Russischen Historischen Museum Moskau veranstaltete Ausstellung "Unsere Russen - Unsere Deutschen" im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg spaziert. "Bilder vom Anderen 1800 bis 2000" ist die Schau untertitelt, die 460 Stücke zeigt. Selten gesehene Objekte fast durchweg, in sieben Themen-Räume sortiert.

Von der Moskau-Dämmerung 1812 über die Feier als Befreier vom Joch Napoleons, über die Ausmalung Russlands als Reich der Despotie ("Die Knute der Großen ist Sibirien, und Sibirien ist selbst nur der Komparativ von Russland"), als Heilsbringer für die antiwestliche Rechte (die schöne, von dem völkisch-nationalen Publizisten Moeller van den Bruck ab 1906 bei Piper besorgte 22-bändige, rot gebundene Dostojewski-Ausgabe ist zu sehen) und die Linke (großartig naiv das bunte Propagandabild des vormaligen Jugendstilmeisters Heinrich Vogeler: "Kulturarbeit der Studenten im Sommer", 1924) über den Vernichtungsfeldzug von SS und Wehrmacht bis hin zu den Schlagzeilen um Putin und "Gas-Gerd".

Die russische Wippe

In seinem Buch über den General von Hammerstein glossiert Hans Magnus Enzensberger das Verhältnis zwischen den beiden Ländern unter dem Titel "Die russische Wippe": als ein Schwindelgefühl, das vor wenigen Jahrzehnten zum Stillstand gekommen sei - womit er nicht Recht haben muss. Die Ausstellung zeigt zwei Befunde: Es waren Kriege, die als "eine Art negatives Gemeinschaftskapital" (Karl Schlögel) das Verhältnis zueinander begründeten. Und es waren die Russen, die den zuerst als Siedlern aufgetauchten Deutschen mit einem ursprünglichen Wohlwollen gegenübertraten. Im Gegensatz zu den daheimgebliebenen Deutschen, die stets sehr grundsätzliche, abstrakte und zugespitzte Urteile über "die Russen" zu bieten hatten. Zugespitzt auch im Sentimentalen. Wer in der Schau den Liedern des "Oktoberclub"-Sängers Reinhold Andert ("Deutsch-Sowjetische Liebe") lauscht, begreift: Was Andert die Tanja, ist Ivan Rebroff die Kalinka. Im Zeichen des Kitsches kommt immerhin die ost-west-deutsche Wippe zur Ruhe.

Berlin, Schloss Charlottenburg: bis 2. März: täglich 10-17 Uhr