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Schauspiel Leipzig Schauspiel Leipzig: Eine rasante Lebensfahrt mit dem Faust im Nacken

Von Andreas Hillger 11.10.2005, 17:19

Leipzig/MZ. - Träume im Schlafsaal

Dieses Rätsel, das der Dramatiker Henrik Ibsen 1867 seinem Publikum aufgab, kann auch am Schauspiel Leipzig nicht eindeutig gelöst werden. Über weite Strecken aber gelingt es dem Intendanten Wolfgang Engel immerhin, dem maßlosen Vexierspiel aus Originellem und Zitiertem eine haltbare Form zu geben. Im Nachtasyl des Bühnenbildners Andreas Jander werden die angeblichen Abenteuer des Helden zwar von vornherein als Ausflüchte kenntlich. Gleichzeitig aber erkennt man, warum Träume in diesem kahlen Schlafsaal unter kaltem Neonlicht so kostbar sind.

Denn für Peer, dessen Muskeln Aurel Manthei selbst unter schwerem Leder noch spielen lassen kann, ist Armut keine Folklore und Identität nichts Selbstverständliches: Weil er aus dem Käfig seiner Herkunft ausbrechen will, muss er flunkern, bis sich die Stäbe biegen. Und weil er danach nicht weiß, wohin er sich mit seiner neu gewonnenen Freiheit wenden soll, rast er haltlos durch die Welt und zerstört Menschen wie Dinge am Wege.

Dies ist das faustische Negativ, dem schon Ibsen die positive Kehrseite des Erkenntnisgewinns nicht mehr zugestehen wollte. Den dramaturgischen Riss, mit dem er zugleich seine Skepsis gegen das Theater markierte, kann dann auch Engel nicht kitten: Nachdem Peer seine Mutter Aase mit süßen Lügen in den Tod begleitet und seine Geliebte Solveig verlassen hat, wird die "große Welt" zur Leerstelle zwischen den Trümmern des einstigen Bühnenbilds. Erst wenn Gynt aus Wüsten und Irrenhäusern schließlich heimkehrt, findet auch das Stück seine Fassung wieder. Doch da steht der Knopfgießer bereits vor der Tür, um dem missratenen Leben eine neue Form zu geben...

"Peer Gynt" ist, im generellen Gelingen wie im partiellen Scheitern, ein Paradebeispiel für das Theater des Wolfgang Engel: Einmal mehr ist das Ensemble der Star, grandiose Einzelleistungen wie der Kraftakt des Aurel Manthei oder die zwischen Larmoyanz und Aufbegehren chargierende Mutter der Ellen Hellwig sind eher dem Gewicht und weniger dem Zuschnitt ihrer Rolle geschuldet. Andererseits aber misstraut der erfahrene Regisseur noch immer der sinnlichen Attraktion des Denkens - und setzt beispielsweise bei den Trollen oder in der Wüste auf die Mittel eines derben Volkstheaters, bei dem ihm das Hirn in die Hose rutscht.

Die Häute der Zwiebel

Als Gynt aber schließlich sein Ebenbild in der Zwiebel findet, die unter hundert Häuten keinen Kern verbirgt, kommt das Stück zur Ruhe. Und Solveig, die ein Leben lang auf ihren Peer gewartet hat, spricht seinem Amoklauf einen unverdienten Sinn zu. Katharina Ley ist dieses Mädchen, das keine Frau werden durfte - und doch mehr vom Leben weiß, als der Heimkehrer ahnt.

Nächste Vorstellungen: 14. und 21. Oktober, je 19.30 Uhr