Satiriker Wiglaf Droste Satiriker Wiglaf Droste: Autor liest betrunken im halleschen Elisabeth-Gymnasium
Halle (Saale) - Es ist eine kühne Idee, einen Dichter, dessen Schreiben so deutlich auf sittliche, geistige und - ja auch - geistliche Entsicherung zielt, in eine Schule einzuladen, zumal in eine katholische.
Einen Künstler, der nach wenigen Wochen ein Publizistik-Studium wegen „schulähnlicher Zustände“ abbrach. Aber Wiglaf Droste ist kein Kleinkünstler, sondern einer der scharfgängigsten Satiriker im Land.
Wiglaf Droste bei Konzertlesung im halleschen Elisabeth-Gymnasium deutlich betrunken
Legendär ist sein gemeinsam mit Gerhard Henschel verfasster Krimi „Der Barbier von Bebra“, in dem ostdeutschen Bürgerrechtlern vor ihrer Hinrichtung die Bärte abgeschnitten werden. Im Feuilleton wird der in Leipzig lebende Westfale Droste als neuer Tucholsky gelistet. Das ist nicht ganz falsch. Die Frauen, die Politik, die Lebens-Melancholie, alles ist da. Nur dass Droste mit 56 Jahren heute elf Jahre älter ist als Tucholsky je wurde.
Dass der als Konzertlesung angezeigte Mittwochabend in der gut gefüllten Aula im halleschen Elisabeth-Gymnasium ein besonderer werden würde, ist sofort klar. Droste, deutlich verschlankt, geht konzentriert senkrecht vor der Bühne entlang. Er mustert das Publikum: „Ich wollte Sie nur mal ansehen“, sagt er. „Sie sehen gut aus.“ Pause. „Der Rest ist der Rest.“ In der Tat.
Auf der Bühne nimmt die Band um den Leipziger Ralph Schüller Fahrt auf. Beste, musikalisch erbauliche deutsche Singer-Songwriter-Mugge. Droste löst sich aus dem Publikum und tritt von hinten auf die Bühne. Er singt mit - im Sitzen. Er liest aus seiner „Draußen nur Kännchen“-Prosa, um dann in einen Singsang zu verfallen: Sag mir, wo die Kännchen sind. Und die Juden in Deutschland, die ja auch verschwunden sind.
Egal, was draußen in den Kännchen sein mag, der Dichter hat deutlich einen im Tee. Was ihm aber noch einige Statements ermöglicht. Dass die einzige Wahrheit die sei, dass wir alle einmal sterben müssen. Dass es keine Sünde gäbe, außer der, Martin Luther zu ehren, den widerlichen Antisemiten, worüber er eine Viertelstunde referieren könnte.
Wiglaf Droste unter Alkohol im Gymnasium: Schulleiter zieht Notbremse
Tun Sie es doch, fordert es aus dem Publikum. Aber Droste ist zu betrunken. Schwere Zunge, gedehnte Rede. Er lautmalt über Liebe und Leid. Schnell zeigt sich, dass die Kehrseite des Autoritären das Sentimentale ist. Ein Ganzkörpermuskelkater breitet sich im Publikum aus.
Die Musiker versuchen zu übernehmen, da zieht der beherzte Schulleiter nach 40 Minuten die Notbremse (die Schüler!), was ihm eine abgründigst rohrspatzende, privatfernsehtaugliche Beschimpfung von Droste einträgt (Vollbart-Alarm!).
Erstaunlich für jemanden, der gern den Wert guter Manieren preist. Man könnte darüber schweigen. Aber es gibt keine Nichtöffentlichkeit in der Öffentlichkeit. Und Droste ist kein Nichtereignis. In einem Klub hätte die Sache vielleicht gerettet werden können. Mehr Musik. Getränke.
Ein Abend wie ein Auffahrunfall. Am Morgen danach, nach dem Entschluss, das Droste-Lob künftig ganz der Szene-Reklame zu überlassen, den Mann einfach abzuhaken als hartschädligen Westfalen-Dichter (Grabbe!), ein Blick in seinen jüngsten Gedichtband: „Wasabi dir nur getan?“. Schöne, schlanke, gute Verse. Zeilen wie „Das Hohe C der Liebe oder: Der feine Unterschied“: „Einfach sich aushalten / Nicht einfach ausschalten.“ Nur gelingt das nicht immer.
Wiglaf Droste: Wasabi dir nur getan? Kunstmann, 128 Seiten, 12 Euro. (mz)