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"Pur" Sänger Hartmut Engler von Pur über Freundschaftsdienste für Toni Kroos und das Flüchtlingsdrama

31.03.2016, 07:24
Hartmut Engler ist das Gesicht der Band Pur. Mit ihrer „Achtung“-Tournee kommen die Musiker nun in unsere Region.
Hartmut Engler ist das Gesicht der Band Pur. Mit ihrer „Achtung“-Tournee kommen die Musiker nun in unsere Region. dpa

Halle (Saale) - Er wird von vielen geliebt und von manchen belächelt: Hartmut Engler. Der Sänger und Songschreiber machte Pur von einer Schülerband in der Kleinstadt Bietigheim-Bissingen zu einer der erfolgreichsten Pop-Gruppen in Deutschland.

In dem vielschichtigen Pur-Album „Achtung“ fordert er mit markanter Stimme mehr gegenseitigen Respekt und setzt ein Zeichen gegen Fremdenhass. Die Songs sind zum Teil melancholisch, aber nicht hoffnungslos. Vorstellen wird die Gruppe Pur sie am 5. April in der Magdeburger Getec-Arena und am 17. April in der Arena Leipzig (20 Uhr).

Zuvor sprach Olaf Neumann mit Hartmut Engler (54) über das Flüchtlingsdrama, Freundschaftsdienste für Toni Kroos und seine Mutter.

Herr Engler, das Lied „Wer hält die Welt“ vom Album „Achtung“ ist ein Duett mit Xavier Naidoo. Worum geht es in diesem Song?

Engler: Es geht im Grunde genommen darum, wie wir Menschen miteinander umgehen und was wir aus der Welt machen. Xavier und ich waren ja gemeinsam in Südafrika und haben dort die Sendung „Sing meinen Song“ aufgezeichnet. Als wir wieder zurückkamen, habe ich Xavier dieses Soundbett zugeschickt. Ich war mir unsicher, wie ich es textlich anpacken sollte. Ein paar Stunden später sagte er mir, er käme vorbei - und dann sang er mir diesen Refrain vor. Später habe ich das Thema und den Vers ergänzt. Wir haben ihn dann gemeinsam mit Caro von Glasperlenspiel eingesungen.

In „Vermiss Dich“ singen Sie von Liebeskummer und Herzschmerz. Privat scheinen Sie derzeit glücklich zu sein. Was gab Anlass, ausgerechnet jetzt über Liebeskummer zu singen?

Engler: Das Lied wollte diese Geschichte! Ich kann vergangene Situationen jederzeit wieder aus meiner Erinnerung hervorholen. In dem Song gibt es kleine Hinweise wie „Der Mann im weißen Zimmer“ auf speziellere Situationen. Das erinnert an den Klinikaufenthalt nach meinem Zusammenbruch und eine tragisch zu Ende gegangene Liebesbeziehung. Zum Glück liegt das schon weit zurück. Man kann das alles in meiner Autobiografie nachlesen. Was für mich heute noch zählt, ist der letzte Satz: „Ich vergess dich nie so ganz“. Das ist eine schöne Erinnerung an eine ziemlich harte Zeit. Das Liebeslied, das meine derzeitige Situation wiedergibt, heißt „Gemeinsam“.

Offensichtlich erzählen Sie lieber in einem Lied von sich als in einer Homestory.

Engler: Bei Liebesliedern ist es für mich überhaupt nicht relevant, in welcher Situation sie geschrieben wurden, sondern was der Hörer dabei empfindet. Ich habe dieses Lied für meine Freundin geschrieben, aber auch für alle anderen, die es mit empfinden können. Ich könnte ja auch erzählen, dass dieses Lied mit meiner persönlichen Situation gar nichts zu tun hat. Es gibt Kollegen, die sagen immer, sie hätten sich alles nur ausgedacht, damit man keine Rückschlüsse auf ihre private Situation ziehen kann. Jeder wie er mag.

An anderer Stelle besingen Sie den respektvollen Umgang miteinander. Gab es ein Ereignis, das Sie zu dem Stück „Achtung“ angeregt hat?

Engler: Mir ist Respekt im Umgang mit anderen Leuten sehr wichtig. Ich habe im Lauf der Jahre festgestellt, dass der Respekt gesamtgesellschaftlich betrachtet immer kleiner wird, insbesondere der Umgang miteinander im Internet. Sprich: Mobbing und Shitstorms. Kinder wachsen heute nicht mehr so vordergründig mit den Begriffen Achtung und Respekt auf.

Was ist für Sie Respekt?

Engler: Respekt ist, den anderen als Menschen zu würdigen und wahrzunehmen, welche Leistungen er bereit ist, für das Leben zu erbringen. Und ihn nicht von vornherein als jemanden anzusehen, der weniger wert ist als man selbst. Im Wesentlichen versuche ich so mit meinen Mitmenschen umzugehen. Ich finde es spannend, sich immer wieder selbst herauszufordern, indem man in den Spiegel guckt und zu sich sagt: Schenk dir einen Tag voller Achtung und Selbstrespekt! Das funktioniert und bringt unter Umständen gute Laune an einem trüben Tag.

Wovor haben Sie Respekt?

Engler: Die Antwort auf diese Frage verlangt eigentlich einen ganzen Abend bei einem guten Glas Rotwein! Ich hätte gern vor jedem einzelnen Menschen Respekt, aber das ist eine Wunschvorstellung. Man sollte nicht immer nur sein eigenes Ego im Zentrum haben, sondern mit Achtung und Respekt versuchen zu verstehen, was den anderen antreibt. Ich übe das beim Taxi fahren oder beim Einkaufen.

Haben Sie auch Respekt vor Ihrem Freund, dem Fußballer Toni Kroos, der eine Kinderhospiz-Stiftung ins Leben gerufen hat?

Engler: Ich habe Hochachtung und größten Respekt, dass jemand als junger Familienvater von 25 Jahren so schnell für sich erkennt, dass man ein sozialer Mensch sein sollte, wenn es einem selbst so gut geht. Toni hat mich gefragt wegen eines Songs für seine Stiftung. Ich habe dann einfach das Lied „Achtung“ umgeschrieben und einen Kinderchor dazu geholt. Jetzt ist es ein kindgerechter Stiftungssong geworden. Und der Erlös dieses Liedes fließt in die Stiftung.

Der Song „Anni“ ist Ihrer Mutter gewidmet, die vergangenes Jahr 90 Jahre alt geworden ist. Welche Bedeutung hat der Song für Sie?

Engler: Ich hatte das Gefühl, der „Tango“ braucht einen zweiten Teil, in dem ich auf die Kindheit meiner Mutter eingehe und das Happy End eines runden Geburtstags noch dazu nehme. Im Prinzip müsste man die zwei Songs gemeinsam live performen, denn sie erzählen 90 Jahre deutsche Geschichte aus der Sicht einer alten Dame.

Ihre Mutter wuchs auf einem Bauernhof im Sudetenland auf und floh 1945 nach Deutschland. Wie wurde sie hier aufgenommen?

Engler: Die Menschen, die ihre leerstehenden Räume für Flüchtlinge zur Verfügung stellen mussten, waren darüber zuerst sicher nicht glücklich. Aber sie haben es gemacht und es hat funktioniert. Manchmal muss man solidarisch ein bisschen enger zusammenrücken. Genau das ist zurzeit in diesem Land wieder gefragt.

Haben Sie immer auf Ihre Mutter gehört?

Engler: Nein, sonst wäre ich nicht Musiker geworden. Ich habe Englisch und Deutsch für Lehramt studiert, der Knackpunkt kam, als ich 1987 vor dem Staatsexamen den unterschriftsreifen Schallplattenvertrag auf dem Tisch liegen hatte. Ich habe ihn unterschrieben und bin von diesem Tag an nie wieder an die Uni gegangen. Das hat das Prinzip meiner Eltern, die immer hart arbeiteten, damit es ihre Kinder einmal besser haben, ad absurdum geführt. Es war für sie schwer zu verdauen. Sie mussten ein paar Jahre mit den Zweifeln an mir leben. 1992 erfolgte dann unser großer Durchbruch. Irgendwann zeigte ich ihnen auch mal, wie viel Geld wirklich auf meinem Konto ist und dann waren sie sehr beruhigt. (lacht)

In „Lichter aus“ thematisieren Sie das Verdrängen des schlechten Gewissens. Eine Anspielung auf die Flüchtlingskrise?

Engler: Natürlich, aber im Moment können wir dieses Problem nicht mehr verdrängen. Es gibt hier eine exklusive Gesellschaft, die meint, ihr Wohlstand sei verdient und die, die nicht zur Party eingeladen sind, sollen schön draußen bleiben. Damit man mit dieser Sichtweise kein schlechtes Gewissen bekommt, schießt man sich die Lichter aus und feiert das Vergessen. Diesen Text habe ich vor über einem Jahr geschrieben; ich hätte nie gedacht, dass er jetzt so aktuell sein könnte.

Hat die Politik dieses Problem, was da auf sie zurollt, unterschätzt beziehungsweise verdrängt?

Engler: Mit Sicherheit, aber nicht nur die Politik. Wir haben uns das alle nicht klar gemacht. Im Moment ist es der Krieg in Syrien, aber irgendwann könnte auch Afrika maßlos überbevölkert und so von einer Hungersnot geplagt sein, dass die Menschen dort einfach keine andere Möglichkeit sehen als auszuwandern. Der Selbsterhaltungstrieb des Menschen ist sehr stark. Es gibt wenige Visionäre, die sich da Lösungen einfallen lassen. Das Problem mit den Flüchtlingen ist jetzt da und muss bewältigt werden. Ich fand es gut, dass Frau Merkel ein Zeichen gesetzt und gesagt hat: Kommt zu uns, bis alles andere geklärt ist.

Das Album klingt aus mit „Manchmal wenn ich traurig bin“. Hilft Musik gegen Traurigkeit?

Engler: Das kann sein. In diesem Fall hat mir unser Gitarrist Martin das Playback vorgespielt und ich sollte mir dazu einen Text einfallen lassen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass diese Musik Schwermut in Freude verwandeln kann. Die Musik hat mir quasi den Text erzählt.

Kartenanfragen für Magdeburg und Leipzig bei TiM-Ticket unter Telefon 0345/202 97 71. (mz)