Samuel Meffire Samuel Meffire: Helden in Holzkisten
Halle (Saale)/MZ. - Da sind sie wieder, diese Sätze wie Schrapnellgeschosse. Orgeln vorüber. Schlagen ein.Krachen. Splittern. Und weiter. Sätze wie das Leben von dem, der siegeschrieben hat: Samuel Meffire,ein Klotz von einem Mann, furchteinflößend groß, durchtrainiert,aber mit Augen aus Samt.
Elite-Polizist war er, der Jungeaus Zwenkau bei Leipzig, aufgewachsen als Sohn einer deutschenMutter und eines afrikanischen Vaters, der am Tag seiner Geburtstarb. Den Schmerz darüber hat Samuel Meffire als Kind weggerudert.Er schafft es auf die Sportschule,später in eine Sondereinheit derPolizei in Sachsen und auf Werbeplakate. „Ein Sachse“ steht da.
Und was für einer: Samuel Meffire geht es bei der Polizei zu langsam mit der Verbrechensbekämpfung. Zu viel Papierkram, zu vieleVorschriften. Er kündigt undmacht auf eigene Faust weiter.Langsam verschwimmen die Grenzen, plötzlich sind sie dann ganzweg. Der Mann des Gesetzes begeht Überfälle, er raubt Bankenaus, flieht nach Afrika. Sie kriegenihn. Hochsicherheitshaft, Einzelzelle. Katzenjammer.
Seit seiner Entlassung macht Samuel Meffire hauptberuflich, wasihm immer mal ein paar Stundenaus dem Knastalltag geholfen hat.Der 40-Jährige schreibt Bücher,knallharte Reality-Thriller aus denTiefetagen der Gegenwart, wo Staat und Verbrechen eins werden, woGut und Böse nur zwei Typen sind,die ihre Namen nach Belieben tauschen. Meffire, der als kleiner Junge Gedichte schrieb, hat sich einenTon antrainiert, der unüberhörbarund unverwechselbar zugleich ist.Auch in „Kunduz“, dem neuenWerk seines Stadtkrieger-Konsortium genannten Kreativkreises,schraubt der Wahlkölner eine apokalyptische Version der näherenZukunft zusammen. Unterstütztdiesmal von Marc Lindemann, einem studierten Politologen undBundeswehr-Hauptmann, der nachmehreren Afghanistan-Einsätzendie drastische Abrechnung „UnterBeschuss“ vorgelegt hatte.
Unter Beschuss sind die deutschen Truppen nun auch hier inder Romanversion, die im Sommer2012 beginnt, als die USA den lange erwarteten Staatsbankrott verkünden und ihre Truppen aus Afghanistan abziehen müssen. DieBundeswehr, „verwöhnt von über60 Jahren Frieden“, wie Meffire und Lindemann schreiben, stehenplötzlich allein in Kunduz, umgebenvon einem fanatischen underbarmungslosen Feind.Helden gibt esauf diesem Höllenritt nur in Holzkisten, diegroße Sehnsucht der Hightech-Krieger im Kampf gegen den Feind,der nur „die Bärte“ genannt wird,ist das Überleben.
Vom Krieg als Abenteuer bleiben hier nur Schmutz, Staub undBlut, die Hoffnung, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, endet als Berg von Elektronikschrott.Die technische Überlegenheit wirdzum Nachteil: „Welcher unsererZugführer konnte denn seine Männer ohne Elektronik führen“, fragtder namenlose MAD-Aufklärer,den das Autoren-Duo gnadenlosdurch Abgründe eines Einsatzesjagt, der vom ersten Tag an ein Desaster zu werden verspricht.
Meffire, der nach seiner Haftentlassung als Sozialarbeiter undCoach für schwererziehbare Jugendliche arbeitete, hat zu viel gesehen und zu viel erlebt, um nochan des Sieg des Guten zu glauben.Marc Lindemann, der selbst in Afghanistan war, und aus der Nähe gesehen hat, was Krieg bedeutet, mag da nicht widersprechen. „Kunduz“ ist den beiden Autoren Herzensangelegenheit, einBuch, das einfach raus musste. „Da stecken vier Monate Arbeit im ICE-Tempo drin“, sagt Samuel Meffire,der auch diesmal multimediale Elemente benutzt, um seiner Geschichte zusätzliche Dimensionenzu verleihen. Nach dem erstendeutschen „Krimi 2.0“, den Meffirevor einem Jahr mit seiner Geschichte über „Die Bruderschaft“herausbrachte, besteht auch „Kunduz“ nicht nur aus geschriebenemText, sondern auch aus Flashcodes,wie Bahnkunden sie von ihren Tickets kennen. Die kleinen Bilderlassen sich per Handy decodierenund verweisen auf Hintergründe,Fakten und Schlagzeilen im Internet, wo die Geschichte weitergeht.„Die Codes sind Türen“, sagt Meffire, „die den Leser immer weiterführen“. Nur ein Happy End, dasgibt es trotzdem nicht.