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Sachbuch «Eiszeit im Kreml» Sachbuch «Eiszeit im Kreml»: Alexander Litwinenko klagt postum an

Von Ulf Mauder 29.10.2007, 09:05

Moskau/dpa. - Der qualvolle Gifttod des Ex-GeheimdienstoffiziersAlexander Litwinenko im November 2006 in London sorgte weltweit fürEntsetzen. Der noch immer nicht aufgeklärte Mord an dem Kremlkritikerist nicht nur Konfliktthema Nummer eins in den britisch-russischenBeziehungen. Der Anschlag auf Litwinenko am 1. November 2006 mit demStrahlengift Polonium 210 bietet vor allem reichlich Stoff fürBuchautoren, Filmemacher und Journalisten. Im Sommer legteLitwinenkos Witwe ihre Erinnerungen «Tod eines Dissidenten» vor. Nunist das zu Lebzeiten Litwinenkos 2002 in den USA veröffentlichte Buch«Eiszeit im Kreml» auf Deutsch erschienen.

Litwinenko fabuliert in seiner Auflistung von Ereignissen undHintergründen über die in Russland gut bekannte Verschwörungstheorieum den zweiten Tschetschenienkrieg. Die Terroranschläge auf russischeWohnblocks und Verkehrsmittel Ende der 1990er Jahre seien nicht dasWerk radikaler Separatisten aus der Teilrepublik im Nordkaukasusgewesen. Die russischen Geheimdienste hätten vielmehr selbst Häuserihrer Landsleute in die Luft gesprengt, um einen Vorwand für denKrieg zu inszenieren. Für ihr Ziel, die Macht der Geheimdienste undWladimir Putin 2000 den Einzug als Präsident in den Kreml zu sichern,nahmen sie Hunderte Tote in Kauf.

Litwinenko und sein Co-Autor Yuri Felshtinsky sprechen das mutigaus, was zumindest einige Menschen in Russland für möglich halten.Doch bleibt Litwinenko, der schon zu Sowjetzeiten für RusslandsGeheimdienst arbeitete, handfeste Beweise für seine Anklage gegen denKreml schuldig. «Wir möchten unseren Lesern versichern, dass das Buchkeine frisierten Fakten und keine unbegründeten Behauptungenenthält», schreibt Felshtinsky im Vorwort. Wer die Anschlägeunvoreingenommen untersuchen wolle, könne das Beweismaterialerhalten. Warum dann dieses Buch? Es solle ein «sterbendes Land»zeigen und die Menschen aufrütteln, Einfluss auf die Zukunft zunehmen, erklärt der 1978 in die USA emigrierte Historiker.

Die Schilderungen der beiden Autoren kreisen um Kriegshetze,Auftragsmorde mit Entführungen und Erpressung, Enthauptungen undErschießungen, um Fälscherwerkstätten und Intrigen. Sie geben einenschaurigen Eindruck von der düsteren Welt der Geheimdienste, in dersich auch Litwinenko genügend Feinde machte.

Im Mittelpunkt der Darstellungen stehen aber die «Amok laufendenGeheimdienste», die Inhaber der wahren Macht in Russland. Die Autorenbeißen sich fest am Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, NikolaiPatruschew, der diese Welt aus Dieben, Gaunern und Mördern schütze.Verbrecher seien in die Geheimdienste eingeschleust worden, umDrogen- und Waffenschmuggel zu organisieren.

In ihrem Kapitel «Fiasko in Rjasan» schildern Litwinenko undFelshtinsky die Widersprüche um den verhinderten Terroranschlag inder russischen Stadt, für den der «Terrorist Patruschew» persönlichverantwortlich sei. Als nach dem Zwischenfall FSB-Mitarbeiter gefasstwurden, erklärte Patruschew, es habe sich um eine Übung gehandelt.Die Autoren betonen, dass den Geheimdiensten nach den Massenmordenunter Stalin alles zuzutrauen sei. Doch für eine überzeugendeAufklärung der schweren Anschuldigungen tun sie nichts.

Tatsachen vermischen sich mit Behauptungen und Spekulationen. DerLeser hat es schwer, bei der Vielzahl an Wiederholungen, Namen undDetails am Ball zu bleiben. Stellenweise verlieren sich die Autorenin langatmigen Wiedergaben von Zeitungs-, Radio- und Agenturberichtenund Pressemitteilungen. Obwohl die überarbeitete Auflage in diesemJahr auf Deutsch erschienen ist, spart Felshtinsky jüngereTerroranschläge aus - dabei wurden immer wieder Tschetschenengefasst. Einmal wird Putin - noch in seinem Amt als Ministerpräsident- zitiert, es sei «Quatsch», dass die Geheimdienste solche Verbrechenbegangen hätten.

Alexander Litwinenko, Yuri Felshtinsky: Eiszeit im Kreml; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 352 S., Euro: 19,95, ISBN 978-3-455-50039-4

Marina Litwinenko, die Witwe Alexander Litwinenkos, stellt ihr Buch «Tod eines Dissidenten» vor. Darin schildert sie die Vorgeschichte und die politischen Hintergründe des Todes von Litwinenko. Seine Witwe ist überzeugt, dass der Auftrag für den Mord in Russland «von ganz oben kam». Das gut 400 Seiten umfassende Buch ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Litwinenko war 2006 an einer Polonium-Vergiftung in London gestorben. (Foto: dpa)
Marina Litwinenko, die Witwe Alexander Litwinenkos, stellt ihr Buch «Tod eines Dissidenten» vor. Darin schildert sie die Vorgeschichte und die politischen Hintergründe des Todes von Litwinenko. Seine Witwe ist überzeugt, dass der Auftrag für den Mord in Russland «von ganz oben kam». Das gut 400 Seiten umfassende Buch ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Litwinenko war 2006 an einer Polonium-Vergiftung in London gestorben. (Foto: dpa)
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