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Römisches Reich Römisches Reich: Kaisermord, Jahre später

Von Gero Hirschelmann 22.04.2003, 20:11

Halle/MZ. - Zwanzig Jahre später ist der am 31. August 12 geborene Gaius Caesar Augustus Germanicus Kaiser des riesigen römischen Imperiums. Nach nur knapp vier Jahren Regierungszeit wird er zwar ermordet, sein übler Ruf als Monster von den sieben Hügeln schallt aber seitdem aus den Geschichtsbüchern. Völlerei (er ließ Speisen mit Blattgold überziehen und trank in Essig aufgelöste Perlen), Inzest (er hatte drei Schwestern), letztlich Wahnsinn (sein Pferd sollte zum Konsul ernannt werden): Seit knapp 2000 Jahren lassen Historiker keinen Versuch aus, Caligulas Bild in den düstersten Farben zu malen.

Zu Unrecht, wie Aloys Winterling findet. Der Professor an der Universität Freiburg erzählt die spannende Geschichte des dritten römischen Kaisers neu und anders. Denn der zentrale Vorwurf, Caligula sei geisteskrank, unzurechnungsfähig und somit ein pathologisches Ungeheuer gewesen, lässt sich mit den zeitgenössischen Quellen nicht belegen. Seine Biografen sprechen zwar von furor (Raserei) oder mania (Wahnsinn), geben damit laut Winterling aber kein psychologisches, sondern ein moralisches Urteil ab - sie wollen sein Andenken absichtsvoll beschädigen. Außerdem würde die Unterstellung eines verrückten Kaisers auf die Gesellschaft zurückfallen. Das römische Recht erklärte Wahnsinnige für schuldunfähig und machte diejenigen verantwortlich, "die es unterlassen haben, auf sie aufzupassen". Erst einhundert Jahre nach dem Tod Caligulas war aus den Unterstellungen "Realität" geworden, der Begriff des "Cäsarenwahns" stammt gar aus dem 19. Jahrhundert.

Winterlings Exkurs zeigt das fragile Verhältnis zwischen den ersten römischen Kaisern und der herrschenden Oberschicht als Auslöser für starke Spannungen. Augustus, Caligulas Großvater, hatte sich einige Jahre vor der Zeitenwende zum Alleinherrscher erhoben. Ergebnis war die paradoxe Situation des Nebeneinanders von Monarchie und Republik. Die Senatoren taten so, als ob sie Macht ausübten, die sie nicht hatten, der Kaiser übte Macht aus, als ob er sie nicht besitze. Eine hochkomplexe Kommunikationssituation, gekennzeichnet durch Heuchelei, Selbstverleugnung, Todesangst, entstand.

Caligula nun spielte das Spiel einfach nicht mehr mit. Er nahm das wörtlich, was bisher nur übertragen gemeint war. Ein Ritter, der im Fall der Genesung Caligulas von einer schweren Krankheit schmeichelnd seinen Auftritt als Gladiator ankündigte, musste sein "Versprechen" halten - und starb. Caligula konfrontierte die Aristokratie so mit Opportunismus und Denunziantentum. Er erniedrigte die Mächtigen und stärkte gleichzeitig die Position des Kaisers. Aktionen wie die Pferde-Beförderung waren Machtdemonstrationen und nicht einem kranken Hirn entsprungen. Das Ex-Soldatenstiefelchen hatte sich Wut und Zorn der meist aristokratischen Geschichtsschreiber also redlich verdient. In diesem Licht zeigen sich viele biografische Äußerungen als Form des retrospektiven Tyrannenmords. Caligula schlug die Aristokratie, die schlug zurück. Der Kaiser wurde getötet, sein Bild zerstört. Winterling korrigiert jetzt in seinem klugen, gut lesbaren Buch diese Interpretationen. Caligula, kein Monster mehr.

Aloys Winterling: "Caligula", C.H. Beck, München 2003, 205 Seiten, 19,90 Euro,