Roman Roman: Haben sich die 68er gegenseitig zu Grunde gerichtet?
München/dpa. - Was soll man von einem Buch erwarten, das den Leser schon im ersten Satz mit einem Selbstmord überfällt? In ihrem Romandebüt «Das bleiche Herz der Revolution» erzählt SophieDannenberg die Geschichte der 68er-Generation als ein vonGesinnungsterror geprägtes gegenseitiges Zugrunderichten: Männergegen Frauen, Eltern gegen Kinder, Lehrer gegen Schüler. Hysterie und Ideologie, Karrierismus und Zynismus sind die treibenden Kräfte der Handlung, und immer siegen sie über Wahrheit und Ehrlichkeit.
Dannenberg verknüpft zwei Erzähltstränge. Im einen verfolgt siedas Scheitern eines hoffnungsvollen Philosophie-Dozenten, der sichdem Konformitätsdruck der radikalen Studenten verweigert - unddadurch alles verliert. Eine akademische Intrige bringt ihn um seineKarriere, und die Ideologie der Emanzipation und Selbstverwirklichungkostet ihn Frau und Kind. Seine Geschichte überkreuzt sich mit dervon Kitty, Tochter - besser gesagt: Opfer - fundamentalistischer68er, die ständig von Revolution reden, an den Kindern ihre Ideen vonsexueller Befreiung durchexerzieren und später eineAussteigerexistenz auf einem alten Bauernhof beginnen.
Dabei mixt die Autorin nicht nur Lebensläufe, sondern auchliterarische Formen. Fatalerweise versucht sie sich über weiteStrecken an der Satire, was ihr mangels Witz gründlich misslingt.Dannenbergs Pointen sind von allerplattestem Niveau: Da bejubeln dieinzwischen arrivierten Alt-68er einen fiktiven Freiheitshelden namens«Osama Latrino», da tritt eine Professorin für «weiblichesSexualleben nach der Meno- und Theaterpause» auf.
Von ebenso erschütternder gedanklicher Schlichtheit ist das ganzeSzenario, das der Roman entwirft. Dannenberg malt mit breitem Pinselund streng schwarz-weiß: 68er sind bei ihr fanatisch, antisemitisch,selbstgerecht und gefühllos. Sie neigen zu Pickeln und heftigemSchwitzen, sind geschmacklos gekleidet und entblöden sich nicht,Kinder als Agenten des Imperialismus zu beschimpfen, wenn derenSchamgefühl erwacht. «Revolution» ist ihre Lieblingsvokabel und dientzur Rechtfertigung für alles - einschließlich des väterlichen Griffsnach den Brüsten der pubertierenden Tochter.
Die 1971 geborene Autorin ist nach eigenen Angaben die mit allenlinken Idealen aufgewachsene Tochter eines 68er-Paars. Das lässtvermuten, dass sie in ihrem Buch auch eigene Erfahrung verarbeitet.Gleichwohl wirken ihre Szenen wie schlecht erfundene Ansammlungen vonZerrbildern und Klischees, kaum einer Figur gönnt sie mehr als eineDimension. Einzig Kittys Mutter gewinnt - zerrissen zwischenprogressiven Ideen und bürgerlicher Prägung - so etwas wiemenschliche Tiefe. Wolfgang Harms
Sophie Dannenberg: Das bleiche Herz der Revolution Deutsche Verlags-Anstalt, München 320 S., 19,90 Euro ISBN 3-421-05830-X