Roland Emmerich Roland Emmerich: Falscher Shakespeare in Babelsberg
Potsdam/ddp. - Roland Emmerich hat der Menschheit einigeszugemutet. In «Independence Day» ließ er das Weiße Haus von Aliens inTrümmer legen, mit «The Day After Tomorrow» und zuletzt «2012»brachten Naturgewalten die Erdenbürger an den Rand der Ausrottung.Nun ist William Shakespeare in Gefahr: In seinem neuen Film«Anonymous», der bis Juni im Studio Babelsberg entsteht, stelltEmmerich die Autorenschaft des Manns aus Stratford-upon-Avon inFrage.
Der titelgebende unbekannte Autor ist der Adelige Edward de Vere,17. Earl of Oxford, den Emmerich von Rhys Ifans («Notting Hill»)spielen lässt. Der oberste Kämmerer von Queen Elizabeth I. ist seit1920 als wahrer Urheber der Shakespeare zugeschriebenen Werke imGespräch. In der Vergangenheit haben bereits Größen wie Mark Twain,Orson Welles, Sigmund Freud oder Charlie Chaplin ShakespearesAutorenschaft bezweifelt.
Für die sogenannten Oxfordianer war Shakespeare lediglich einStrohmann. In ihren Augen ist es unmöglich, dass der Mann aus einerAnalphabeten-Familie mit fragwürdigem Bildungsstand, der keinenZugang zum Hof und nie das europäische Festland bereist hatte, Werkewie «Der Kaufmann von Venedig» oder «Hamlet» hätte ersinnen können.Für die Oxfordianer spricht, dass kein handgeschriebenes ManuskriptShakespeares überliefert wurde. Probleme bereitet der Tod de Veres1604, lange vor der Uraufführung von «Macbeth» und «Der Sturm».
Der Stoff fasziniert Emmerich. «Es geht um ein einfaches Thema:Dass das Wort mächtiger ist als das Schwert», sagte er am Donnerstagbei der Vorstellung seines ersten Projekts in Deutschland seit seinemHollywood-Debüt 1992, «Universal Soldier». Emmerich will nicht alsKatastrophenfilmer abgestempelt werden. Im Grunde verfolge er immerdie großen Fragen, sei es, wie die Welt enden werde oder eben, obShakespeare tatsächlich die ihm zugeschriebenen Werke verfasst hat:«Ich musste hart kämpfen, um diesen Film zu machen.» Emmerich drehtseit Ende März mit einer Riege renommierter britischer Darsteller,darunter Vanessa Redgrave als Elizabeth I. Der Film soll 2011 in dieKinos kommen.
«Das ist nach wie vor ein Roland-Emmerich-Film», sagte MarcWeigert, der mit Volker Engel nach «2012» auch bei «Anonymous» fürdie visuellen Effekte verantwortlich zeichnet. Um das London des 16.Jahrhunderts lebensecht auf die Leinwand zu bringen, müssen die 30Mann ihres Teams Tausende von Häusern, Menschen, Schiffen und nichtzuletzt die Themse im Computer generieren. Dafür wurde eine Weigertzufolge «bahnbrechende» neue Technologie entwickelt, mit der aufBasis simpler Fotos 3D-Kamerafahrten in den fotografierten Raummöglich werden.
Keine Einstellung in «Anonymous» wird in England gedreht, dasgesamte Geschehen spielt sich in Babelsberg vor Kulissen oder grünenLeinwänden ab, in die die Computersimulationen eingefügt werden.Trotz dieses Aufwands ist das Ausmaß der Spezialeffekte nicht mit«2012» vergleichbar: Laut Weigert kommt seine Abteilung mit einemFünfundzwanzigstel des Budgets von «2012» aus.
Für sein komplettes Projekt hat Emmerich nach eigener Auskunftrund 30 Millionen US-Dollar zur Verfügung - Welten von denangeblichen 200 Millionen Dollar, die «2012» gekostet haben soll. Dassei wenig Geld, aber genug, sagte Emmerich: «Ich gehe keineKompromisse ein.»
Gereicht hat es auf jeden Fall für einen Nachbau des Rose Theatresauf einem Nebengelände des Filmstudios. Das zweigeschossige, rundeHolzgebäude ist umgeben von windschiefen, angegammeltenFachwerkhäusern, in den schlammigen Gassen fehlen nur noch Schweineund Ratten für das authentische Flair. «KeineRosamunde-Pilcher-Stimmung» ist denn auch das Motto von AusstatterSebastian Krawinkel, der bereits Quentin Tarantinos «InglouriousBasterds» in Szene gesetzt hat.
«Anonymous» wurde allein vom Deutschen Filmförderfonds mit rund4,4 Millionen Euro unterstützt. Die Förderung sei nur ein Grund fürDeutschland als Drehort gewesen, sagte Emmerich: «Ich wollte immerzurückkehren.« Nun genieße er die Zeit im geschichtsträchtigen StudioBabelsberg in vollen Zügen. Lange wird Emmerich die Menschheit nichtruhen lassen. Zwei Fortsetzungen von »Independence Day" sind inVorbereitung.