Rezension Rezension: Glamour vor der Kamera

München/dpa. - Peter Lindbergh ist einer der höchst geschätztenFotografen unserer Zeit. Er muss seine Arbeit niemandem mehrerklären, und fast jedermann hat im Laufe seines Lebens Aufnahmen vonihm gesehen - mindestens unwissentlich. Er kann sich seine Aufträgeaussuchen. Für die großen Magazine wie Vogue, Harper`s Bazaar, VanityFair oder Marie Claire hat er ebenso gearbeitet wie mit der Crème derStars und Designer - Prada, Calvin Klein, Armani oder Lagerfeld.Lindbergh hat die Fotografie keinesfalls neu erfunden, aber ihr imBereich der Mode und seiner Porträts seinen eigenen Stil aufgeprägt.
Dafür kombiniert Lindbergh vergleichsweise wenige Zutaten zu einemopulenten optischen Mahl. Sicher, bei ihm ist alles etwas größer: DieBlitzanlagen, die Studios, die Namen seiner Models, die Aufträge derAgenturen, der Aufwand und das Honorar, das bei Lindberg höher istals bei der übergroßen Mehrheit. Aber Lindbergh fügt das alles zueinem gehaltvollen Ganzen zusammen, zumeist in klassischemschwarzweiß. Sein neuer Band «Untiteld 116» kündet mit mehr als 200Fotos von 116 Frauen unübersehbar davon.
Lindbergh zeigt durchweg stolze, selbstbewusste, schöne,erfolgreiche, ausdrucksstarke Frauen. Sie haben oft bereits vielerreicht, wenn er sie vor die Linse nimmt. Sie sind erfolgreicheModels, Schauspielerinnen oder Sängerinnen, manchmal sind aberUnbekannte darunter. Auch sie brauchen Schmincke im Prinzip nicht,sie sind meist geübt im Umgang mit ihrem Körper und ihrem Gesicht,kennen die Situation vor der Kamera. Lindbergh gilt als uneitel undträgt Khakihosen, die er en gros bestellt. Er ist erfahren und nichtserinnert daran, dass er sein Metier erst im Alter von 27 Jahren fand,nachdem er eher zufällig eine Kamera in die Hand nahm und dasHandwerk dann später von Grund auf lernte.
Vielleicht akzeptiert ihn Eva Herzigowa daher scheinbarselbstverständlich, wenn sie ihn über ihre leere Suppentasseanblickt. Milla Jovovich schmiegt sich für ihn mal mädchenhaft kleinund weich in einen Autositz, und erscheint dann hart, gestreng undunterkühlt. Gleichzeitig könnte sich ihr Ausdruck im nächsten Momentaufhellen - das Gesicht steht auf der Kippe. Jovovich bietet Lindbergdas Motiv, und er nimmt es sich. Kein störender Hintergrund, keinersichtlicher technischer Schnickschnack, keine überflüssigenAccessoires. Lindbergh liefert das pure Bild der Frau. Undunterschwellige Erotik? Aber ja.
Die Sängerin Mylène Farmer verhüllt sich mit einem schwarzenPullover, der ihre langen, hellen Beine nur noch stärker betont. DiePose signalisiert, dass dort eine Person auf dem Sofa sitzt. Wie beivielen anderen Fotos lenkt der schwarze Hintergrund dieAufmerksamkeit auf das feine Grau der Hauttöne. Wie beim Porträt vonJulia Roberts, die selbstvergessen in weite Ferne blickt. Oder beiGwyneth Paltrow, deren entspanntes Gesicht vor dem Dunkel ihresPullovers wie vor einer schwarzen Wand leuchtet. Anjelica Houstonschließlich blickt mit wunderbar lächelnden Augen ins Objektiv. DieKulissen der Aufnahmen sind die etwa die Straßen New Yorks,verkommene Schwerindustriehallen oder die Studios von Paris.
Lindbergh holt aus den vielfach Angebeteten, den Bekannten, denReichen und den Schönen entweder die laszive Geste, den unterkühltenBlick oder das menschliche Antlitz hervor. Nitunter verschwimmen auchdie Grenzen. Zusammen mit seinem Licht und feinen Schwarzweiß-Tönenschafft Lindbergh ein schnörkelloses Denkmal der Schönheit.
Peter Lindbergh: «Untitled 116» Verlag Schirmer/Mosel, München 365 S., 207 Bilder in Farbe und s/w 98 Euro ISBN 3829601794