1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Reinhard Mey: Reinhard Mey: Mit dem Moped nach Paris

Reinhard Mey Reinhard Mey: Mit dem Moped nach Paris

11.05.2012, 16:47
Einer der erfolgreichsten deutschen Liedermacher: Reinhard Mey.
Einer der erfolgreichsten deutschen Liedermacher: Reinhard Mey. Archiv Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Irgendwie schafft es der Liedermacher, das anschwellende Gemurmel zu durchdringen, ohne seine Gesprächspartner deshalb anschreien zu müssen. Wer wie er seit mehr als 40 Jahren auf Tourneen geht, vor großen Zuschauermengen auftritt, lässt sich von solchen Geräuschkulissen eben nicht beeindrucken. Erst im vergangenen Jahr hatte er 62 ausverkaufte Konzerte gegeben. Dass Reinhard Mey im Dezember 70 wird, sieht man ihm nicht an, dass er regelmäßig joggt dagegen schon. Ganz in schwarz gekleidet, die Lederjacke über den Stuhl gehängt, sitzt er da: Ein sehr entspannter Berliner, der nicht viel Aufhebens darum macht, Berliner zu sein. Was wohl auch damit zu tun hat, dass er viele Jahre in Paris lebte. Eine Stadt, die für ihn ein Sehnsuchtsort geblieben ist.

Das Gespräch führten Carmen Böker und Martin Scholz.

Herr Mey, wir würden mit Ihnen gerne über den Pionier der deutsch-französischen Freundschaft reden, der Sie mal waren…

Mey: Oh Gott, ist das nicht ein bisschen hochgegriffen?

Ihre Eltern hatten Sie nach Ende des Krieges zu einer befreundeten französischen Familie geschickt, in den 60ern lebten Sie in Paris, waren mit einer Französin verheiratet, Sie sangen auf Französisch, wurden dort als Frédérik Mey ein Star unter den Chansonniers, noch bevor Sie in Deutschland Erfolg hatten. Da kommt einiges zusammen.

Mey: Das stimmt, ist aber schon alles lange her.

Wir möchten mit einem Assoziationsspiel versuchen, dieses Leben zwischen zwei Kulturen zu erfassen. Wir nennen Ihnen je eine deutsche und eine französische Eigenschaft - Sie müssen sich für eine entscheiden.

Mey: Machen Sie mal.

Baguette oder Vollkornbrot?

Mey: Vollkornbrot. Da spricht der Jogger oder der ernährungsbewusste Deutsche aus mir. Ich weiß, wie schädlich das Weißbrot für den Organismus ist. Was mich allerdings nicht daran hindert, es dennoch hin und wieder zu essen. Wenn ich einen wunderbaren, gereiften Camembert habe, schmeckt der nur auf einem Baguette.

Triumphbogen oder Brandenburger Tor?

Mey: Triumphbogen, der Platz ist noch lebendiger als das Gelände am Brandenburger Tor. Und mir gefällt es, dass es unter dem Triumphbogen eine Flamme für die unbekannten Soldaten gibt. Eine schöne Geste, die geht mir ans Herz. Wobei ich nie vergessen werde, wie schön es war, am 24. Dezember 1989 endlich wieder durch das Brandenburger Tor gehen zu dürfen.

Louvre oder Museumsinsel?

Mey: Louvre. Das Museum ist einfach nicht zu überbieten. Es zu erfassen, ist fast schon eine Lebensaufgabe. Und das sagt Ihnen jemand, der schon sehr oft dort war. Dennoch habe ich vielleicht erst ein Drittel dessen gesehen, was ausgestellt ist. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich immer wieder zu denselben Bildern gehe.

Albert Camus oder Günter Grass?

Mey: Camus. Ohne zu überlegen. Abgesehen von der jüngsten Debatte um sein kontroverses Israel-Gedicht, ist es mir schon immer sehr, sehr schwer gefallen, Günter Grass zu lesen. Ich hab es dennoch immer wieder mal versucht. Aber es ging nicht. Ich konnte das einfach nicht lesen, mich nicht dadurch kämpfen. Camus dagegen ist für mich immer noch frisch, auch wenn ich ihn heute lese.

Audrey Tautou oder Franka Potente?

Mey: Audrey Tautou. Ich habe mir sogar diese Schweinelampe gekauft, die in ihrem Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" auf dem Nachttisch steht. Die steht jetzt auch bei mir zu Hause. Ich liebe diesen Film.

Fußball-Länderspiel, Frankreich gegen Deutschland - wen feuern Sie an?

Mey: Deutschland, einfach weil ich die Mannschaft zurzeit besser kenne als das französische Team. Ich bin auch kein großer Fußball-Kenner.

Französischer oder deutscher Wein?

Mey: Französischer. Obwohl ich den deutschen, beispielsweise den Riesling, auch sehr mag. Aber da ich am liebsten Rotwein trinke, bin ich beim Wein eher in Frankreich zu Hause, genauer: in Bordeaux.

Atlantikküste oder Sylt?

Mey: Das ist schwer. Ich würde sagen: 14 Tage hier, 14 Tage dort. Mein Lieblingsort an der französischen Atlantikküste ist Mimizan, 70 Kilometer nördlich von Arcachon gelegen. In jungen Jahren bin ich mal von Berlin aus mit dem Moped dort hingefahren - erst nach Paris, dann weiter nach Biarritz, dann nach Arcachon.

Ein ganz schön weiter Ritt.

Mey: Ich hatte bereits Erfahrung. Meine erste Reise nach Paris hatte ich auch mit dem Moped gemacht. Ich habe drei, vier Tage dafür gebraucht und war nur auf gut Glück hingefahren. Ich hatte einen Jugendherbergsausweis. Und die Adresse einer Gastfamilie, wo ich Unterschlupf fand. Ich habe aber auch mal unter einer Brücke an der Seine geschlafen, einfach, weil ich das mal machen wollte.

Benjamin Biolay oder Clueso.

Mey: Clueso. Unter den neueren französischen Chansonniers habe ich den großen Knaller noch nicht entdeckt. Meine letzte große Entdeckung im französischen Chanson war Jean Jacques Goldmann.

Louis de Funès oder Otto?

Mey: Louis de Funès. Ganz klar. Ich hatte de Funès lange bevor er als Filmstar berühmt wurde mal in einem Theaterstück in Paris gesehen. Er spielte in dem Stück "Oscar", das er später auch für die Leinwand adaptiert hat. Ich war begeistert von dieser brillanten, schnellen Boulevard-Komödie. Ich habe gebrüllt vor Lachen.

Sie haben sich sieben Mal für Frankreich, drei Mal für Deutschland entschieden.

Mey: Tatsächlich? Na ja, das geht schon in Ordnung. Ich war mit einer Französin acht Jahre verheiratet, das war eine wunderbare Zeit deutsch-französischer Verständigung. Ich hatte eine tolle Schwiegereltern-Familie, mit der ich auch lange nach unserer Trennung Kontakt hatte. Ich habe von Frankreich das Beste abgekriegt. Wirklich. Neid und Häme habe ich dort nie erlebt.

Herr Mey, Ihre Eltern waren mit einem französischen Paar befreundet und hatten sich vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs versprochen: wenn der Krieg vorbei wäre, würde man diese Freundschaft wieder aufleben lassen. Wie war das, als Sie nach dem Krieg das erste Mal die französische Familie besuchten, schlug Ihnen da zunächst eine feindselige Stimmung entgegen?

Mey: Nein, bei allen meinen Frankreich-Reisen habe ich selbst nie ein antideutsches Ressentiment gespürt.

Sie sind nie als "boche" beschimpft worden?

Mey: Nie! Die Familie lebte in einem Dorf in der Ardèche, das auch unter den deutschen Besatzern gelitten hatte. Und dennoch habe ich dort nie das Wort "boche" gehört - außer, wenn ich selbst nach dem Krieg gefragt habe. Aber auf mich ist das Wort nie angewandt worden, von keinem der Dorfbewohner. Das kam ja anfangs sofort über die Sprache raus, später, als der Akzent sich verwischte, ging ich als Kanadier, Belgier oder Schweizer durch, bis ich am Ende als Franzose galt. In anderen Ländern, in den Niederlanden oder Belgien beispielsweise, kam das dagegen schon mal vor. Wenn ich mit meinem VW-Käfer mit dem Berliner Kennzeichen irgendwo stand, gab es mal abfällige Bemerkungen. Aber nie eine wirkliche Aggression.

Später haben Sie nicht nur in Frankreich gewohnt, Sie haben in der Sprache gelebt, auf Französisch gesungen und Lieder geschrieben. Wie hat diese Zeit Sie geprägt?

Mey: Ich habe mich in der Sprache zu Hause gefühlt und auch in der Mentalität. Das war sehr intensiv, ich habe gerne dort gelebt, bin immer wieder gern dorthin gefahren. Ich habe immer wieder Probleme gehabt, wenn ich in andere Länder gefahren bin, in die ich zwar gerne reisen wollte, von denen ich aber nie so viel mitgekriegt habe, wie ich wollte, weil ich die Sprache nicht beherrschte. In Frankreich war ich zu Hause, auch in der Sprache. Wenn ich über den Rhein fuhr, hat sich automatisch ein Schalter im Gehirn umgelegt.

Plötzlich Franzose?

Mey: So ungefähr. Von diesem Moment an änderten sich auch meine Fahrweise, und andere Verhaltensweisen, die ich sofort angenommen habe, wenn ich wieder in Frankreich war.

Was war denn so anders und gleichzeitig vertraut an dieser Atmosphäre?

Mey: Die Leute in Frankreich gehen ganz anders auf einen zu. Es ist natürlich ein Unterschied, ob man in Paris zu tun hat oder irgendwo in der Provinz. Je weiter man in der Provinz ist, desto freundlicher werden die Leute. Die Pariser können oftmals, ein bisschen wie die Berliner, sehr muffig und kurz angebunden sein und sehr verdrossen, wenn man sie aus ihrer Ruhe herausholt. Sie haben einen anderen Rhythmus, es ist ein gewisses geordnetes Chaos. Dann wiederum sind die Menschen in Paris ganz anders als die Berliner. Wenn man hier in Berlin um die Siegessäule fährt, dann geht das auf eine gewisse, geordnete Art vor sich. An der Place de l'Etoile in Paris funktioniert das total anders. Wenn ich versuchen würde, dort so zu fahren, wie ich es hier an der Siegessäule mache, würde ich viel Unheil anrichten.

Fahren Sie um die Siegessäule vorsichtiger und in Paris einfach wild drauflos?

Mey: Ich weiß nicht, woran es liegt. Aber in Paris bin ich plötzlich in diesem Strom drin, und wenn man es gelernt hat, sich darin zu bewegen wie ein Fisch im Wasser, dann macht man das automatisch. Ich weiß nicht, was es bei mir auslöst, vielleicht, sind es schon die Verkehrsschilder, die nach der Grenzüberquerung eine andere Farbe haben oder die Streifen auf der Autobahn, die in Frankreich nicht mehr weiß, sondern gelb sind.

Herr Mey, auf politischer Ebene ist zumindest die Zeit der deutsch-französischen Freundschaft zwischen Merkel und Sarkozy vorbei. In der kommenden Woche kommt der neue Staatspräsident François Hollande zum Antrittsbesuch nach Berlin - zu einer Kanzlerin, die sich im Wahlkampf eindeutig gegen ihn ausgesprochen hatte. Was erwarten Sie?

Mey: Merkel ist Politik-Profi genug, um sich auch mit Hollande zu verständigen.

Merkollande statt Merkozy?

Mey: Hollande und Sarkozy waren letzten Endes gar nicht so extrem weit voneinander entfernt, wie es jetzt immer dargestellt wird. Die Franzosen sind immer noch ein ganz klein bisschen Royalisten, und ihr Präsident ist in Frankreich etwas ganz anderes als die Kanzlerin oder der Bundespräsident bei uns. Nach jeder Wahl glauben und hoffen sie, dass ein neuer König das Land anders, besser regiert.

Ich entsinne mich noch genau an den Tag, an dem François Mitterrand Präsident wurde. Da ging ein unglaublicher Jubel los bei allen Leuten, die ich kannte. Und ich dachte: Ihr stellt euch jetzt vor, alles wird gut, jetzt gibt es Rotwein und Champagner für alle - und es wird ganz anders kommen. Es wird einfach nur ein weiterer Präsident sein, der sich mit den Schwierigkeiten in diesem Land auseinanderzusetzen hat, und nicht alle eure Wünsche werden sich erfüllen.

Ich denke, das wird man auch nach dieser Wahl erkennen. Monsieur Hollande wird den Franzosen auch nicht all das schenken können, was sie sich wünschen, genauso wenig wie Sarkozy das konnte. Wo wir gerade über ihn reden, fällt mir ein, dass Sarkozy mich immer wieder an Louis de Funès erinnerte.

Wie kommen Sie darauf?

Mey: Louis de Funès war für mich der bessere Sarkozy. Sie müssen sich nur mal anschauen, wie Sarkozy immer die Augenbrauen so hochzog, dass sie wie Dächer aussahen. Das hatte er sich von de Funès abgeguckt. Aber er war bei weitem nicht so überzeugend.

Und jenseits des Polit-Betriebs, wie sehen Sie die deutsch-französische Freundschaft heute, fast 50 Jahre nachdem sie im Elysée-Vertrag offiziell besiegelt wurde?

Mey: Gut, am Anfang, 1962, musste man ein bisschen nachhelfen, anschubsen und dem Ganzen einen Titel geben. Das ist in Ordnung, denn der Zweck heiligt die Mittel. Ich finde es sehr gut, dass es diese Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich gegeben hat, weil ich wirklich glaube sagen zu können, dass wir uns sehr, sehr nahe sind. Viel näher vielleicht, als das unsere Väter und Vorväter gedacht haben, die aus dem Anderen einen Erbfeind machen wollten. Manchmal, finde ich, könnte heute ein bisschen mehr Begeisterung aufkommen über diese Reisefreiheit und die Kommunikationsmöglichkeiten, die wir mit Frankreich haben. Damals war die Deutsch-Französische Freundschaft spektakulär, heute muss man nicht mehr darüber sprechen. Ist auch ok.