Regisseur Tim Burton Regisseur Tim Burton: "Ich bin derselbe Typ wie vor 25 Jahren"

Beim Interview in einem Luxushotel in Midtown Manhattan wirkt Tim Burton wie jemand, der einen Elektroschock zu viel abbekommen hat. Mit funkelnden Augen justiert er seine getönte Brille im Zehnsekundentakt. Sein Wuschelhaar ist ungebändigt und an den Schläfen grau geworden.
Ist „Big Eyes“ ein Film für den „kleinen Burton-Hunger zwischendurch“?
Burton: So könnte man sagen. Es war eine Wohltat, nach den großen Budgets von „Alice im Wunderland“ und „Dark Shadows“ wieder mal einen Film zu machen, der nicht mehr als zehn Millionen Dollar kostete.
Margaret Keane wurde in den 60er Jahren mit ihren Porträts von Kindern und Frauen mit tellergroßen, traurigen Augen zu einem Popkultur-Phänomen. Waren Sie auch ein Fan von ihr?
Burton: Ich bin zwar mit ihren Bildern aufgewachsen – sie hingen ja in jeder Zahnarzt-Praxis, jedem Restaurant und in fast jedem Wohnzimmer; aber diese Bilder mit den überdimensionalen Augen haben mich als Teenager eher irritiert und verstört. Damals dachte ich natürlich, dass diese Bilder Margarets Ehemann Walter Keane gemalt hatte…
… was eine gigantische Lüge war, die dann 1970 aufgedeckt wurde.
Burton: Der Prozess um die Echtheit der Bilder in einem Gerichtssaal in Honolulu ist der Höhepunkt des Films. Ich habe das damals nur am Rande mitbekommen. Wirkliches Interesse für Margaret Keane und ihr Werk bekam ich erst Anfang der 90er Jahre. Da sah ich im Fernsehen eine Dokumentation über den Prozess. Das hat mich dann doch ziemlich schockiert.
Wollten Sie schon damals den Film „Big Eyes“ machen?
Burton: Nein, das war die Idee der Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski, die damals das Drehbuch zu meinem Film „Ed Wood“ geschrieben hatten. Vor gut zehn Jahren sah es so aus, dass „Big Eyes“ auch tatsächlich unter ihrer Regie entstehen sollte. Ich war nur als Produzent vorgesehen…
… bis Amy Adams Ihnen das Drehbuch ans Herz legte und versprach, die Hauptrolle zu übernehmen.
Burton: Das war für mich tatsächlich die Initialzündung, mich intensiv mit dem Film zu befassen.
Und dann hat einer von Hollywoods erfolgreichsten Regisseuren einfach losgelegt?
Burton: So einfach ist das auch für mich nicht. Auch ich musste schon die bittere Erfahrung machen, dass Projekte, an denen ich sehr hing, vom Studio kein grünes Licht bekamen. Doch nachdem klar war, dass ich die Regie übernehmen würde und wir die beiden wunderbaren Hauptdarsteller – Amy Adams und Christoph Waltz – beieinander hatten, wurde der Film recht zügig durchgewinkt.
Der Ton von „Big Eyes“ ist viel leichter und fröhlicher, als man es von Ihnen erwartet.
Burton: Das stimmt. Der Film ist eine amüsante Mischung aus Humor, dunklen Abgründen, Verrücktheiten, dysfunktionalen Beziehungsproblemen – und hat fantastische Wendungen.
Sind Humor und dunkle Abgründe spezielle Qualitäten von Christoph Waltz?
Burton: Ja, Christoph hat diese Qualitäten absolut. Aber er kann gleichzeitig sehr liebenswert und charmant sein. Und dann – von einem Moment auf den anderen – wieder narzisstisch und extrem gewalttätig. Diesen Charakter so fließend darzustellen, wie Christoph das getan hat, war sehr kompliziert. Auch Amys Rolle war alles andere als einfach. Sie musste als Margaret sehr schüchtern wirken, ohne als Opfer dazustehen.
Walter Keane war zwar ein Hochstapler, hat aber mit der Vermarktung der Bilder ein Millionen-Geschäft gemacht und damit eigentlich die Massenkunst – lange vor Andy Warhol – kommerzialisiert.
Burton: Walter hat die Bilder seiner Frau tatsächlich genial vermarktet: Poster, Kalender, T-Shirts, Schulranzen und Mäppchen mit Keane-Bilderaufdrucken – alles, was man sich nur vorstellen kann.
Ist das Kitsch oder Kunst??
Burton: Was ist eigentlich echte Kunst? Das ist eine Frage, die mich wahnsinnig umtreibt. Welche Instanz bestimmt denn: Das ist Kunst, das ist Schund? Soll Kunst die Menschen erheben, verstören, zum Nachdenken anregen? Oder nur die Erwartungen des Betrachters befriedigen? Ich halte mich da meist an ein Zitat von Andy Warhol. Auf die Vorwürfe der Kritiker, seine Arbeiten hätten überhaupt nichts mit Kunst zu tun, erwiderte er: „Wenn es so schlecht wäre, würden es dann so viele Menschen mögen?“
Nach dieser Rechnung wären alle Hollywood-Blockbuster Kunst. Hauptsache Millionen Zuschauer und Milliarden Dollar-Umsätze…
Burton: Ganz so einfach ist es eben doch nicht. Die Grenzen sind für mich oft fließend. Bei meinem Film „Ed Wood“ wollte ich genau das herausfinden: Wo verläuft eigentlich die feine Linie zwischen Kunst und Trash? Zwischen gut und schlecht? Und ich gestehe: Auch ich habe Margaret Keane gebeten, ein paar Bilder für mich zu malen. Sie hat meine Frau und meine Kindern gemalt. Und auf einem hat sie mich in einer schwarzen Wolke am Himmel versteckt. Ziemlich verrückt, nicht?
Bei aller Leichtigkeit gibt es auch in diesem Film typische Burton-Momente. Zum Beispiel, als Margaret im Supermarkt Leute mit diesen riesengroßen Augen leibhaftig vor sich sieht.
Burton: Ich kann – und will - meine Handschrift nicht verstellen. Ich bin immer nur ich – was auch immer das heißen mag. Ich habe ja meine Karriere als Zeichner in den Disney-Studios begonnen. Das war eine sehr harte Zeit für mich. Damals war ich wohl manisch depressiv. Vor allem deshalb, weil ich ein furchtbar schlechter Zeichner war. Ich habe den niedlichen Disney-Stil nie wirklich hinbekommen. Ich konnte nur meine sehr skurrilen, neurotischen, surrealen Horror-Gestalten zeichnen. Es war ein großes Glück für mich, dass sie mich bald meine eigenen Kurzfilme machen ließen. Aber höchstwahrscheinlich wollte man mich nur loswerden.
Sie sind in Burbank aufgewachsen, einem sehr tristen Vorort von Los Angeles. Wie haben Sie es geschafft, sich dort diese wunderbaren Phantasmagorien auszudenken?
Burton: Burbank war eine sehr geisttötende Gegend, wo nie wirklich etwas passierte. Das Wetter war immer gleich schön, die Leute sahen immer gleich aus und taten immer dieselben langweiligen Dinge. Dieser Eintönigkeit wollte ich unbedingt entfliehen. Also habe ich begonnen, das emotionale Vakuum um mich herum mit Träumen und Phantasien auszufüllen. Ich erfand permanent die wildesten Geschichten, die ich dann mit Zeichnungen illustriert habe. Während meiner Pubertät wurde mir dann langsam klar, dass ich meinen Lebensunterhalt mit kreativer Arbeit verdienen wollte.
Ausgerechnet in Hollywood?
Burton: Mein Vorteil war, dass man mich nicht wirklich einordnen konnte. Also hat man mich anfangs ein bisschen herumprobieren lassen. Als mein zweiter Kinofilm „Beetlejuice“ ein kommerzieller Erfolg wurde, hat man mir – zu meiner großen Überraschung – angeboten, bei „Batman“ Regie zu führen. Und zwei Jahre später gleich nochmal. Natürlich hat der große Erfolg der beiden Filme meinen Status in Hollywood für eine kurze Zeit verbessert. Aber den dritten „Batman“ wollten sie mir schon nicht mehr geben. Meine Version war ihnen zu bizarr und depressiv, wie es hieß. Also habe ich es gelassen – und lieber „Ed Wood“ gemacht.
Und 20 Jahre später machen Sie ein Remake von „Dumbo“, dem Disney-Elefanten. Ein weiter Weg
Burton: Sicher habe auch ich mich in den letzten Jahrzehnten verändert und hoffentlich weiterentwickelt. Aber eigentlich bin ich emotional ziemlich konstant geblieben. Und jetzt, wo wir darüber sprechen, will ich sogar behaupten, dass ich im Grunde genommen immer noch derselbe Typ bin wie vor 35 Jahren, als ich meine ersten Kurzfilme machte.
Erschreckt Sie das nicht?
Burton: Nein, wieso? Natürlich bin ich älter geworden, habe an Lebenserfahrung gewonnen und bin wahrscheinlich ein bisschen umgänglicher als damals. Aber ich glaube nicht, dass man sich wirklich – ganz tief drinnen – jemals ändert. Kann der Leopard seine Flecken loswerden?
Wie hat sich Hollywood denn in den letzten 35 Jahren verändert?
Burton: Das habe ich mich schon oft gefragt – und nie eine wirklich befriedigende Antwort darauf gefunden. Jedes Mal, wenn ich denke, dass Hollywood am liebsten nur noch diese Big-Budget-Movies machen würde, kommen wieder sehr interessante, kleinere Filme ins Kino. Wie zum Beispiel „Big Eyes“. Und was sich extrem verbessert hat, sind die Möglichkeiten, die man heutzutage im Animations-Film hat. Davon hätte ich vor 35 Jahren nie zu träumen gewagt.
Das kann man gut verstehen. Als Sie in den 80ern mit Ihren Animations-Filmen anfingen, gab es außer den Disney Zeichentrickfilmen kaum etwas Nennenswertes.
Burton: Und dann hat das Genre Mitte der 90er Jahre mit all den hochklassigen Studio-Filmen – allen voran Pixar und Dreamworks – einen Riesensprung gemacht. Und zwar nicht nur in technischer, sondern auch kreativer Hinsicht. Das hat mich ungeheuer inspiriert. Einen Film wie „Alice im Wunderland“ hätte ich in den 80er Jahren nie machen können.
Vielleicht doch. Er hätte nur anders ausgesehen. Sind die nunmehr fast unbeschränkten Möglichkeiten, computergenerierte Bilder herzustellen, nicht auch ein Fluch?
Burton: Man muss schon aufpassen, dass die Animation nicht zum Selbstzweck verkommt, sondern immer der Story dient und dramaturgisch Sinn macht. Auch deshalb sind kleinere Filme wie „Big Eyes“ sehr gute Übungen, die Dinge wieder in der rechten Balance zu sehen.
Auf die Frage, wie er seine David-Skulptur gemacht habe, antwortete Michelangelo: „Ich habe nur all das weggenommen, was nicht David ist.“ Könnte man Ihre Filme so beschreiben, dass Sie alles wegnehmen, was nicht Tim Burton ist?
Burton: Das wäre zu viel der Ehre! Denn bei einem Tim-Burton-Movie haben immer viele Leute ihre Finger im Spiel. Das ist oft gut, manchmal weniger. Denn wir wollen nie vergessen: Wenn man in Hollywood erfolgreich ist, dann wird man schnell zu einem Produkt, einem Ding, das die Produzenten versuchen zu formen und zu gebrauchen. Da bleibt der Mensch, der Künstler, leider sehr oft auf der Strecke. In Hollywood hat noch niemand einen Meter Film gedreht ohne dabei ans Geld zu denken. „Was kostet das?“ Und: „Wie hoch wird der Gewinn sein?“ Seltsamerweise sind die Kosten immer zu hoch und das Einspielergebnis immer zu niedrig.
Für Sie spielen kommerzielle Erwägungen keine Rolle?
Burton: Natürlich will ich, dass möglichst viele Leute meinen Film ansehen. Aber ich kalkuliere nie mit dem Publikumsgeschmack. Zum einen weiß man da nie genau, woran man ist, und zum anderen mache ich immer nur den Film, der mir selbst am besten gefällt.
Wie erholen Sie sich zwischen zwei Film-Projekten am liebsten?
Burton: Ich schaue mir den Himmel an. Oder einen Baum. Das sind sehr kostbare Zen-Momente. Oft sind ja die Augenblicke, in denen es so scheint, als ob man gar nichts tut, gerade die kreativsten.
Stimmt es eigentlich, dass Sie nie ohne Ihren Zeichenblock das Haus verlassen?
Burton: Ja. Ich mache mir andauernd Notizen oder am besten gleich Skizzen. Aber ich laufe sicher nicht herum und zeichne Architektur oder Natur ab. Am liebsten sitze ich in einer dunklen Ecke in einer Bar oder einem Restaurant und kritzle nur so vor mich hin.
Das Gespräch führte Ulrich Lössl.