Rainer Werner Fassbinder Rainer Werner Fassbinder: Als «Rentner» unvorstellbar

Berlin/dpa. - «Wen die Götter lieben, den holen sie früh zusich.» Mit diesem Spruch trösten sich die Menschen, wenn sie um frühverstorbene Lieblinge oder Größen ihrer Zeit trauern. So war es auchbei Leinwandhelden wie James Dean, Marilyn Monroe oder River Phoenixund zuletzt Heath Ledger, und das trifft sicher auch auf denFilmemacher Rainer Werner Fassbinder zu, der 1982 im Alter von nur 37Jahren früh gestorben ist. An diesem Montag (31. Mai) wäreFassbinder, den viele für den bedeutendsten Filmregisseur derdeutschen Nachkriegsgeschichte halten, 65 Jahre alt geworden.
Er war schon zu Lebzeiten zur Legende geworden und seitdem müssensich die Filmemacher der nachfolgenden Generationen oft an der«Maßeinheit Fassbinder» messen lassen. Fassbinder hat dem NeuenDeutschen Film mit Wim Wenders, Werner Herzog, Alexander Kluge unddem späteren Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff international zumDurchbruch verholfen. Die «New York Times» feierte ihn noch zuLebzeiten als den «faszinierendsten, begabtesten, fruchtbarsten,originellsten jungen Filmemacher in Westeuropa». Derart umfassend seidie Bundesrepublik in keinem anderen künstlerischen Werk derNachkriegszeit präsent (mit der einen Ausnahme Heinrich Böllvermutlich), zitiert die Fassbinder Foundation den FilmkritikerWolfram Schütte. Damit sei Fassbinder mit Kollegen wie LuchinoVisconti, Ingmar Bergman, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und AndrzejWajda vergleichbar.
Ein 65. Geburtstag aber schien wohl für den 1945 im bayerischenBad Wörishofen geborenen Fassbinder selbst in unerreichbarer Ferne.Er war Getriebener und Besessener zugleich mit dem Motto «Schlafenkann ich, wenn ich tot bin». Also lebte er sein «ganzes wahnwitzigesLeben», wie es Kritiker nannten. Und als «Rentner» kann man sichdiesen manischen Filmemacher, der mit über 40 Spielfilmen in nur 14Jahren (von den 14 Theaterstücken ganz zu schweigen wie «Der Müll,die Stadt und der Tod»), kaum vorstellen. Er hat mit Werken wie«Berlin Alexanderplatz», «Angst essen Seele auf» und «Die Ehe derMaria Braun» quasi am Fließband Filmgeschichte geschrieben.
Das reiche Filmerbe betreut heute die Fassbinder Foundation,zuletzt mit ebenso aufwendigen wie viel beachteten digitalrestaurierten Fassungen des über 15 Stunden langen TV-Mehrteilers«Berlin Alexanderplatz» von 1979/80 (Kamera Xaver Schwarzenberger)und des Science-Fiction-Thrillers «Welt am Draht» aus dem Jahr 1973mit dem späteren Hollywood-Kameramann Michael Ballhaus. Beide Malewaren es auch Höhepunkte der Internationalen Filmfestspiele in Berlinder letzten Jahre (die inzwischen auch als DVD-Box erhältlich sind).Über «Alexanderplatz» meinten Kritiker, die Verfilmung gehöre zumBesten, was je im deutschen Fernsehen gesendet und im deutschen Filmüberhaupt produziert worden sei - auch wenn viele Fernsehzuschauerdamals über die ihrer Ansicht nach oft zu dunklen Szenen klagten (wasin der restaurierten DVD-Fassung korrigiert wurde).
Der Preis für das sowohl im Umfang als auch in seinerprovozierenden Qualität in Deutschland immer noch einzigartige Werkwar hoch - Alkohol, Affären, Medikamente und Kokain, am Ende kamalles zusammen. «Das Wunderbare an diesem Widerling war: Er machtemit seiner Angst den anderen Mut. Wohl keiner von Deutschlands großenKünstlern hat sich so schonungslos preisgegeben», meinte einmal einerseiner Kollegen, der Regisseur und Schauspieler Hark Bohm. «Ich willdoch nur, dass ihr mich liebt» hieß denn auch fast programmatischeiner seiner Fernsehfilme.
Die Liste der Fassbinder-Darsteller kleiner und größerer Rollenist beachtlich, der Regisseur arbeitete sowohl mit Stars aus «OpasKino» der 50er Jahre und neueren Weggefährten zusammen wie HannaSchygulla, Ingrid Caven, Mario Adorf, Adrian Hoven, Klaus Löwitsch,Ivan Desney, Günter Lamprecht, Cornelia Froboess, Kurt Raab,Gottfried John, Brigitte Mira, Margit Carstensen, Karlheinz Böhm undChristine Kaufmann. Die Zusammenarbeit war nie ohne Spannungen, wieOhr- und Augenzeugen berichteten.
«Er küsste und er schlug sie auch», hieß es dazu in Anlehnung aneinen Filmtitel der französischen Nouvelle Vague (Neue Welle), dieFassbinder sehr beeinflusst hat. Bände spricht der 1970 entstandeneFilm «Warnung vor einer heiligen Nutte», in dem Spannungen undAggressionen in einem Filmteam als wahrer Psychoterror eine Rollespielen.
1974 war Fassbinder mit der Fontane-Verfilmung «Effi Briest» mitHanna Schygulla auf der Berlinale vertreten, wofür er sich -vergeblich - den Goldenen Bären erhofft hatte. Den erhielt erschließlich 1982 wenige Monate vor seinem Tod für «Die Sehnsucht derVeronika Voss» mit Rosel Zech, Cornelia Froboess, Hilmar Thate undArmin Mueller-Stahl über einen der Drogensucht verfallenden Ufa-Star.Schwule Obsessionen verarbeitete der homosexuelle Regisseur in seinemletzten, in den Berlin-Spandauer Ateliers gedrehten Film «Querelle»nach Jean Genet. Über Schwule meinte Fassbinder: «Sie sind böse aufmich, weil sie immer denken, sie wären etwas Besonderes...Sie wollenunnormal sein. Das ist idiotisch.» Sein Traum war bis zuletzt «mitJames Dean, der Monroe oder Marlene Dietrich zu arbeiten».