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Rainer Kirsch ist tot Rainer Kirsch ist tot: "Der Dichter träumt das Ideal"

Von Christian Eger 07.09.2015, 06:20
Rainer Kirsch dankt im Oktober 2001 im Schloss Georgium in Dessau für den Wilhelm-Müller-Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt.
Rainer Kirsch dankt im Oktober 2001 im Schloss Georgium in Dessau für den Wilhelm-Müller-Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt. Lutz Sebastian Lizenz

Halle (Saale) - Danach gefragt, was er mit seinem Schreiben erreichen wolle, antwortete Rainer Kirsch 2014: „Bleibende Bilder von der Welt machen, indem ich schreibe. Intensive Momentaufnahmen der Welt liefern und mich damit einordnen in, sagen wir mal, das Ensemble der Weltkunst.“ Dabei dürfe man nicht auf schnelle Effekte schielen, denn: „Originalität kommt von selbst, wenn man genau arbeitet.“

Mit dieser Haltung stand der 1934 im sächsischen Döbeln geborene Schriftsteller, der auf Petrarca, Brecht und Mandelstam setzte, zuletzt im großen Aufmerksamkeitshaschen allein. „Die heutige Art, dass man sich dicketut, ist schädlich. Erstens für den Autor und zweitens für die Kunst.“

Um die ist es dem Dichter, der von 1953 an in Halle und Jena Philosophie und Geschichte studierte, immer gegangen. Es gibt neben Peter Hacks kaum einen zweiten deutschen Schriftsteller seiner Generation, der fortgesetzt so ernsthaft und gelehrt über die künstlerischen und gesellschaftlichen Maßgaben des Schreibens nachdachte. Kirschs essayistisches ist dem poetischen Werk mindestens ebenbürtig - und aufs Ganze gesehen: einzigartig. Die klarsichtigen Aufsatzsammlungen „Das Wort und seine Strahlung“ und „Das Amt des Dichters“ bleiben anregende Schriften über ihre Entstehungszeit hinweg.

Das waren die Jahrzehnte der DDR. Vom „Amt des Dichters“ zu sprechen, hatte ja etwas Staatsnahes und Quasi-Religiöses, aber mit letzterem hatte Kirsch nichts am Hut - und das Staatliche streifte er bald ab. Gestartet als ein kommunistischer Stürmer und Dränger, der mit 18 in die SED eintrat und den Deutschen das Lied „Geh voran Pionier“ bescherte (Kirsch: „Ich wusste es damals nicht besser“), zog er sich immer mehr auf die eigene Autorität zurück.

Aus der Partei ausgeschlossen

Das auf die DDR-Führung angewandte Konzept der Fürstenerziehung hatte er in den 70er Jahren für erledigt erklärt. Die SED konnte mit seiner unabhängig dreinredenden Intelligenz nichts anfangen. Zweimal - in den 50er und 70er Jahren - wurde Kirsch aus der Partei ausgeschlossen, musste sich als Arbeiter in der Chemie „bewähren“, 1965 wurde ihm das Abschlussdiplom am Leipziger Literaturinstitut verweigert.

Kirsch hielt das aus. Er gehörte zu jenen, die man die jungen Dichter der DDR nannte, die von 1961 an auf der „Lyrikwelle“ nach oben kamen. 1958 heiratete er die Biologin Ingrid Bernstein, die sich Sarah Kirsch nannte; der 2013 gestorbenen Dichterin blieb er über die acht Jahre Ehe hinweg freundschaftlich verbunden. Gemeinsam lebte das Paar in Halle, der Dichter selbst noch bis in die 70er Jahre, bevor er nach Berlin zog.

„Chronist, Seelsorger, Lebenshelfer“ zu sein, darum ging es Kirsch gesellschaftlich. Der Dichter „träumt das Ideal und hält es hoch“. Wie, das ist in den schlank-schönen Gedichtbänden „Kunst in Mark Brandenburg“, „Ausflug machen“ und „Die Talare der Gottesgelehrten“ nachzulesen.

So elfenbeinern Kirschs Dichtung auch wirkte, ein Elfenbeintürmer war er nicht. 1990 wurde er Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes, 2001 erhielt er den Wilhelm-Müller-Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt. Die eigene Stellung zu behaupten, ohne sich menschlich und künstlerisch anzubiedern, das hat der am Freitag im Alter von 81 Jahren gestorbene Rainer Kirsch bis zuletzt vermocht.