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Privatfernsehen Privatfernsehen: RTL und Sat.1 feiern 30. Geburtstag

Von Gregor Tholl 02.01.2014, 07:45
Moderator Thomas Gottschalk (m.) steht bei der Aufzeichnung der RTL-Fernsehshow "30 Jahre RTL - Die große Jubiläumsshow" auf der Bühne mit 30 Damen, die am 02.01.1984 geboren wurden - genau wie RTL.
Moderator Thomas Gottschalk (m.) steht bei der Aufzeichnung der RTL-Fernsehshow "30 Jahre RTL - Die große Jubiläumsshow" auf der Bühne mit 30 Damen, die am 02.01.1984 geboren wurden - genau wie RTL. dpa Lizenz

Berlin/dpa - Trau keinem über 30 - dieser Slogan war Ende der 60er Jahre als Protest populär. Jetzt könnte mancher auf die Idee kommen, ihn aufs kommerzielle Fernsehen anzuwenden. Denn: Vor 30 Jahren, am 1. Januar 1984, startete die Ära des Privatfernsehens in Deutschland - mit dem Sendebeginn von Sat.1, das damals unter PKS firmierte (Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk). Einen Tag später folgte RTL.

Pionier Sat.1 hat in drei Jahrzehnten mehrere Besitzerwechsel und Umzüge (von Ludwigshafen über Mainz und Berlin bis Unterföhring bei München) hinter sich und verschmolz im Jahr 2000 zur ProSiebenSat.1 Media AG. Seit 1996 ist der Sender auch im Internet aktiv, heute zum Beispiel mit mehr als 50 Facebook-Seiten.

1. Januar 1984, 9.58 Uhr: Der Geschäftsführer Jürgen Doetz meldet sich aus der Sendezentrale des Kabelpilotprojekts Ludwigshafen: „Sie sind in dieser Minute Zeuge des Starts des ersten deutschen privaten Fernsehveranstalters, der Sie mit einem Vollprogramm täglich ab 16.45 Uhr über den Nachmittag und Abend begleiten wird...“ - so ging es damals laut Sat.1 los.

2. Januar 1984, 17.27 Uhr: RTL plus geht auf Sendung, in einem kleinen Studio im luxemburgischen Dudelange. Idee zum Start: In einem Kreißsaal bringt Moderator Rainer Holbe einen Fernseher zur Welt und mit ihm symbolisch den Sender, der erst später seinen Hauptsitz in Köln findet und seit 1993 nur noch RTL heißt.

2. Januar 1984: Als zweiter Privatsender für Deutschland startet aus Luxemburg RTL plus. Ab 1993 heißt der Sender aus Köln nur noch RTL.

8. April 1988: Die Comedy-Spielshow „Alles Nichts Oder?!“ mit Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder bringt einen neuen Anarcho-Faktor ins deutsche Fernsehen (läuft bis 1992).

21. Januar 1990: Die umstrittene Erotik-Spielshow „Tutti Frutti“ mit Hugo Egon Balder mischt die TV-Nation auf (läuft bis 1992).

19. Januar 1992: „Traumhochzeit“ mit Linda de Mol startet und wird zu einer der beliebtesten Fernsehshows der 90er Jahre.

11. Mai 1992: Die Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ startet, ebenso wie das werktägliche Magazin „Explosiv“.

14. September 1992: „Hans Meiser“ legt los und führt zu einer jahrelangen Flut von Nachmittags-Talkshows im deutschen Fernsehen.

12. März 1996: Start der Action-Serie „Alarm für Cobra 11“.

3. September 1999: Als deutsche Version der britischen Quizshow „Who Wants To Be A Millionaire?“ geht das Quiz „Wer wird Milllionär?“ mit Günther Jauch auf Sendung. Bis heute ein Quoten-Hit.

11. September 2001: Viel Beifall und Lob bekommt RTL für die siebenstündige Moderation von Peter Kloeppel zu den Terroranschlägen in den USA.

9. November 2002: „Deutschland sucht den Superstar“ als Mutter der großen Castingshows geht an den Start. Chefjuror ist bis heute Ex-Modern-Talking-Star Dieter Bohlen. Ab 2007 folgt - ebenfalls mit Bohlen - „Das Supertalent“.

9. Januar 2004: Die erste Staffel des Dschungelcamps - „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“ - geht auf Sendung. Eine neue Dimension von Ironie- und Promi-Fernsehen.

2. Oktober 2005: Die Kuppelshow „Bauer sucht Frau“ mit Inka Bause geht an den Start.

10. Juli 2013: Überraschend wird bekannt, dass die Qualifikationsspiele der deutschen Nationalmannschaft für die EM 2016 in Frankreich und die WM 2018 in Russland von RTL übertragen werden.

Widerstände von Politik und Kirche

Aus diesen bescheidenen Privat-TV-Anfängen ist ein riesiger Markt geworden. Inzwischen ist die Zeit vor dem kommerziellen Fernsehen - als es zunächst nur ein öffentlich-rechtliches Programm gab und später das Zweite Deutsche Fernsehen, dann immerhin die regionalen Dritten - kaum mehr vorstellbar.

Werbefinanziertes Fernsehen neben dem gebührenfinanzierten ist jedoch erst nach harten politischen Widerständen möglich geworden. Die SPD etwa, die Kirchen oder auch Gewerkschaften befürchteten negative Auswirkungen für Kinder und Familien. Erst nach dem Regierungswechsel von 1982, als die FDP den Koalitionswechsel von der SPD zur CDU/CSU vollzogen hatte, stellte die Politik die Weichen.

Spätestens seit den 90er Jahren wirbelt das Internet die Situation der elektronischen Medien kräftig durcheinander. Auch Sat.1 oder RTL als einstige Erneuerer des linearen Fernsehens gehören für manchen schon zum alten Eisen.

Durchbruch des Privatfernsehens

Nach Sat.1 und RTL folgten Sender wie Musikbox (ab 1989 Tele 5), die europäische Ausgabe des Musikkanals MTV (1987), ProSieben (1989), der Bezahlsender Premiere (1991), der Kabelkanal (ab 1994 Kabel 1), der Nachrichtensender n-tv (1992) oder Programme wie Vox, RTL II und Viva (alle 1993), N24 (2000) und bis heute viele mehr.

Parallel zum Privatmarkt expandierten auch die Öffentlich-Rechtlichen. Bereits 1984 startete 3sat als Kooperation von Deutschland, Österreich und der Schweiz. 1991 ging der deutsch-französische Kulturkanal Arte auf Sendung, 1997 der Ereigniskanal Phoenix und der Kinderkanal (Ki.Ka). Bis heute folgten Sender wie Eins Festival oder ZDFneo und einige mehr.

Für das Privatfernsehen und seinen Ruf war lange Zeit der gebürtige Wiener Helmut Thoma prägend („Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“). Von 1984 bis 1999 stand er an der RTL-Spitze.

Seine Zielgruppen-Fixierung der angeblich werberelevanten 14- bis 49-Jährigen (die RTL-Gruppe blickt inzwischen auf 14- bis 59-Jährige) hat auch das Einschaltquoten-Denken bei ARD und ZDF beeinflusst. Minderheitenprogramme gelangten eher in späte Abendstunden oder Spartenkanäle.

Krawall-Talkshows, Scripted Reality und "Tutti Frutti"

Inhaltlich haben die Privaten neue Programmformate ausprobiert und immer wieder für Aufsehen gesorgt: sei es mit Frühstücksfernsehen, Quiz-Show-Wiederbelebungen, Daily Soaps, Reality-Shows, lockereren Nachrichtensendungen oder aber Castingshows.

Für Diskussionsstoff sorgten etwa die Sexberatung mit Erika Berger, die nackten Brüste bei „Tutti Frutti“, die Ekel-Spiele im Dschungelcamp, Krawall-Talkshows, Sozial-Experimente à la „Big Brother“, Scripted Realitys oder die gecasteten Sternchen bei „Deutschland sucht den Superstar“ oder „The Voice of Germany“.

Viele Fernsehköpfe wären ohne die Privaten heute kaum das, was sie sind - man denke an die Aufstiege von Günther Jauch („Stern TV“, „Wer wird Millionär?“) oder Stefan Raab.

Das Privat-TV fungierte auch als Talentschmiede fürs Öffentlich-Rechtliche (Reinhold Beckmann, Jörg Pilawa, Johannes B. Kerner oder der langjährige „Nur die Liebe zählt“-Moderator Kai Pflaume zum Beispiel wurden bei RTL und Sat.1 bekannt).

Doch auch Gewächse von ARD und ZDF experimentierten bei den Privaten, etwa Thomas Gottschalk, Hape Kerkeling oder Late-Night-Entertainer Harald Schmidt.

Kalauer und viel nackte Haut: Hugo Egon Balder (m.) und seine Mädchen aus der RTL-Show "Tutti Frutti".
Kalauer und viel nackte Haut: Hugo Egon Balder (m.) und seine Mädchen aus der RTL-Show "Tutti Frutti".
dpa Lizenz