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Potsdamer Fotograf Joachim Liebe Potsdamer Fotograf Joachim Liebe: Fotos der abziehenden Truppen der Roten Armee

Von Andreas Montag 14.07.2015, 05:57
Nach dem Fest in Altengrabow (Fläming, l.), in Potsdam geht es zackig zu
Nach dem Fest in Altengrabow (Fläming, l.), in Potsdam geht es zackig zu Joachim Liebe Lizenz

Halle (Saale) - Für eine kurze Zeit waren sie die Sieger der Herzen in Ostdeutschland - die Soldaten der Roten Armee. Da schlugen ihnen Mitgefühl und Wärme entgegen. Gemeint ist jenes heute fast vergessene Interim, das zwischen der von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges zugestandenen Wiedervereinigung Deutschlands und dem Abzug der sogenannten Westgruppe lag. Fotografien des Potsdamers Joachim Liebe (Jahrgang 1955), überwiegend in dieser Zeit entstanden, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle in dem Band „Vergessene Sieger“ veröffentlicht.

Rasante Veränderungen

Es ist ein bemerkenswerter Foto-Essay über die aufregende Zeit geworden, als sich die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges im Großen so rasant veränderte wie die Lebenswirklichkeit der ehemaligen DDR-Bürger im Kleinen. Viele, bis 1989 für undenkbar gehaltene Dinge geschahen damals in atemberaubendem Tempo, angefangen bei den großen Demonstrationen der Menschen in Leipzig und anderen Städten. Der Fall der Berliner Mauer und die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze machten das Wunder komplett.

Der Abzug der Hunderttausende zählenden Besatzungsarmee gehört unbedingt in diese Reihe, aber selbst den Zeitgenossen dieses historischen Vorgangs sind die Ereignisse fast märchenhaft entrückt.

Dabei verging Anfang der 1990er Jahre kaum eine Woche, in der nicht Berichte darüber die Runde machten, an jeder Waldkante wollten Zeugen Stellungen vergrabener Atomraketen gefunden haben. Und die Chefs der Westgruppe, die in Wünsdorf bei Potsdam ihr Hauptquartier hatte, waren damit beschäftigt, angesichts der ungewohnten Öffentlichkeit, in die ihr bis dahin gut abgeschirmtes Tun nun geriet, die Nerven und die Würde zu bewahren.

Westgruppe, diesen offiziellen Begriff hat allerdings umgangssprachlich kaum einer verwendet. Ebenso wenig die bis zur Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 gültige Bezeichnung Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, kurz GSSD.

Gelegentlich hörte man auch von den „zeitweilig auf dem Territorium der DDR stationierten sowjetischen Streitkräften“, wobei das Wort zeitweilig so nebulös nach Ewigkeit klang wie es gemeint war. Im allgemeinen Sprachgebrauch war bündig (und durchaus nicht immer unfreundlich) von den Russen die Rede, wahlweise auch von „den Freunden“. Letzteres war zumeist ironisch zu verstehen, die Freundschaft war von Ulbricht, Honecker und Co. verkündet worden, kaum einer empfand so.

Allerdings war umgekehrt auch Feindseligkeit weniger ausgeprägt, selbst dafür hätten die Soldaten präsenter sein müssen als sie es in ihren verrammelten Kasernen waren, aus denen sie nur in langen, dröhnenden Panzer- und LKW-Kolonnen zu Übungen aufbrachen und die Straßen ramponierten.

Wer es wirklich böse meinte, der sagte summarisch: „der Russe“ oder, noch im abwertenden Ton der überlieferten Nazipropaganda, „der Iwan“. Das hielt sich in Resten zäh, bis weit in die DDR-Zeit.

Die Russen in der DDR, das waren bis 1991 bei weitem nicht nur Russen, sondern Angehörige aller Völker des großen Sowjetreiches - und sie alle waren die unbekannten Wesen schlechthin. Offiziere konnte man zwar treffen, gelegentlich kam es in Kneipen zu wodkageschwängerten Begegnungen. Ansonsten aber beschränkte sich der Kontakt auf rituelle „Freundschaftsbesuche“ beim Patenregiment oder Fähnchenschwenken, wenn die „Waffenbrüder“ des Warschauer Paktes nach gemeinsamen Manövern von Schulkindern bejubelt werden mussten.

Um so erhellender sind die Fotografien von Joachim Liebe, der in den Kasernen die Aufbruchstimmung zwischen Stolz und Elegie festgehalten hat. Immerhin ging ein Großteil dieser in Ostdeutschland etablierten militärischen Elite einer reichlich ungewissen Zukunft entgegen - daheim, in Russland, war eigentlich gar kein Platz für so viele zusätzliche Offiziere und deren Familien.

Spartanische Reinlichkeit

Der Autor dieses Beitrages erinnert sich an einen Besuch Anfang der Neunziger in Altengrabow im Fläming, wo die Soldaten noch einmal zeigen sollten, wie fit sie waren: Martialische Exerzier- und Nahkampfübungen wurden aufgeführt, die Quartiere der Mannschaften blitzten in spartanischer Reinlichkeit. Und auch jenen Tag Ende August 1994, als der sichtlich beschwipste russische Präsident Boris Jelzin auf dem Berliner Gendarmenmarkt eine Ehrenrunde für seine Truppen drehte, wird man nicht vergessen.

Joachim Liebe hat sich auf die Gesichter der Soldaten konzentriert, auf Orte wie die zurückgebliebenen sowjetischen Friedhöfe und auf Spuren, die noch jahrelang wie Narben in der Landschaft blieben. Mancherorts, wie in Altes Lager bei Jüterbog, kann man sie heute noch sehen als Zeugnisse einer fernen, überwucherten Zeit.

Viel ist von Umweltsünden berichtet worden, Schrott, Munition und Öllachen blieben zurück, zerbrochene Fenster, marode Gebäude. Auch solche Bilder zeigt der Band „Vergessene Sieger“, die oft nicht wie Sieger aussahen. Und tatsächlich haben sie am Ende ja viel verloren - nach ihrem verlustreichen Sieg über Hitlers Deutschland, dessen Erben wir sind. Das immerhin sollten wir bei allem nicht vergessen. (mz)

Joachim Liebe: „Vergessene Sieger. Jahre danach“, zahlr. Fotografien mit Texten u. a. von Friedrich Schorlemmer und T.O. Immisch, Mitteldeutscher Verlag Halle, 160 Seiten, 24,95 Euro

Soldat
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Verlassener Ort: Altes Lager bei Jüterbog
Verlassener Ort: Altes Lager bei Jüterbog
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