Poesie Poesie: Tusch für Wilhelm Busch

Halle/MZ. - Plötzlich galt Busch nicht mehr nur als dervollbärtige Gute-Laune-Onkel der Bismarck-Ära,sondern als dämonischer Pessimist und Nihilist.Das hatte wohl auch kulturelle Gründe: Diegesellschaftlich äußerst dynamischen und feinfühligen20er und 30er Jahre sortierten nicht nur dieGegenwart, sondern auch die Vergangenheitneu nach Freund und Feind; da erschien Busch,der am Sonntag vor 175Jahren im niedersächsischenFlecken Wiedensahl geboren wurde, als grimmigerGreis von vorgestern.
Einen Nachklang dieser Lesart findet man inder anregenden "Deutschen Geschichte des 19.und 20. Jahrhunderts", die Golo Mann 1958vorlegte. Der schreibt über Busch, diesersei - bei aller äußerlichen Heiterkeit - imKern ein "unergründlich boshafter, menschenfeindlicherHumorist" gewesen. Golo Mann galt die Freudedes Bürgertums an dem 1908 im Alter von 75Jahren gestorbenen Künstler als ein Irrtum.Denn eigentlich habe Busch jene gehasst, dieihn feierten. Busch, der "ein selbstquälerischer,grundgescheiter, mitleidender Sadist" gewesensein soll.
Rickeracke mit Geknacke
Sollte Mann hier geirrt haben? Die Busch-Bilderzielen ja auch auf das Grausige. "Rickeracke"geht "die Mühle mit Geknacke", die Max undMoritz zu Körnern schrotet. Die "Fromme Helene"kommt im Suff einer Kerze zu nah: "Hier siehtman ihre Trümmer rauchen, der Rest ist nichtmehr zu gebrauchen." Und da ist der "Eis-Peter",der nach heftigem Schlittschuhlaufen zu Hausewie ein Eiszapfen dahinschmilzt. Die Elternlöffeln Peters Überreste in einen Krug undstellen ihn zwischen Käse und Gurken in denVorratskeller. Nun, das sind selbstverständlichkeine heiteren Nachrichten. Aber auch hiergreift die Frage: Ist der Überbringer derbösen Nachricht zwangsläufig ein böser Charakter?Dass Figuren gemahlen, gelöffelt, gehängtwerden können - so wie der Rabe "Hans Huckebein"("Der Tisch ist glatt - der Böse taumelt -/Das Ende naht - sieh da! er baumelt."), dasist ja keine Erfindung des HandwerkersohnesBusch, der mit neun zur Erziehung in den Haushalteines strengen Onkels abgeschoben wurde.
Was Busch, der in Frankfurt und München alsKunstmaler gescheitert war, von 1864 an inseinen Früh-Comics lieferte, sind Sitten-und Traumbilder aus der Mitte des Spießbürgertums,an dem Busch selbst auch litt. Letzteres mit"verstehender Güte" und "scharfer Kritik",wie der große österreichisch-jüdische PublizistEgon Friedell in seiner genialen "Kulturgeschichteder Neuzeit" (1927) bemerkte. Friedell, der1938 seinem Leben ein Ende setzte, in demer sich aus dem Fenster eines mehrstöckigen,bereits von der SA belauerten Wiener Mietshauseszu Tode stürzte, nicht ohne zuvor die Passantenzu warnen: "Treten Sie zur Seite!"
Ein Stückel Brot
Dieser Autor also lobte Buschs bis inkleinste Detail lebensechte Kopien der Wirklichkeit.Dessen "Panpsychismus", der alle Wesen undDinge beseele, bis hin zur Wanduhr oder zumStiefelknecht: Busch, hellhörig und -sichtig.Ein Künstler, der sich nach dem Scheiternder 1848er Revolution in dem brüchigen Weltbilddes späten 19. Jahrhunderts einzurichten suchte:mit Witz und Spott, auch Schadenfreude, allengroßen Tönen abgeneigt. "Es wohnen die hohenGedanken/ In einem hohen Haus./ Ich klopfte,doch immer hieß es:/ ,Die Herrschaft fuhreben aus‘".
Also widmete sich der eigenbrötlerische Hagestolzund Desillusionist, der seine späten Jahreim Pfarrhaushalt seiner Schwester Fanny verbrachte,den "kleinen" Dingen und Fragen: "Ein StückelBrot, ein Groschen/ Ernähren auch ihren Mann".Der Mensch also, nurmehr auf sich und seinesgleichengestellt. Das meint ja auch der Vorspruchzu "Max und Moritz": "Aber das bedenke stets:/Wie man's treibt, mein Kind, so geht's."
Busch, mehr Tier- als Menschenfreund. DerNicht-Idealist und Kettenraucher - zwei Nikotinvergiftungensoll er überstanden haben. Ein Nachwende-Deutscherum 1900, modern bis heute. Ein Autor, vondessen Werk aus Linien hin zu den zärtlich-dunklenSchriftstellern Robert Gernhardt ("Im Glückund anderswo") oder Sibylle Berg ("Ein paarLeute suchen das Glück und lachen sich tot")führen. Es gibt eben zwei Schulen der Weisheit.Die eine richtet sich nach der jeweils tageaktuellgültigen Moral. Die andere lauscht dem Lebennach. Zu letzterer Schule gehört der ZeitgenosseWilhelm Busch.