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Philip Glass Philip Glass: Umstrittener «Godfather» neuer experimenteller Musik

Von Carla S. Reissman 30.01.2007, 09:08
Der US-Komponist Philip Glass. Der kontrovers diskutierte Schöpfer von so unterschiedlichen Werken wie der vierstündigen Oper «Einstein on the Beach» und dem Soundtrack zum Hollywood-Film «Die Truman Show» gilt seit langem als führender Vertreter des musikalischen Minimalismus. (Foto: dpa)
Der US-Komponist Philip Glass. Der kontrovers diskutierte Schöpfer von so unterschiedlichen Werken wie der vierstündigen Oper «Einstein on the Beach» und dem Soundtrack zum Hollywood-Film «Die Truman Show» gilt seit langem als führender Vertreter des musikalischen Minimalismus. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

New York/dpa. - Der kontrovers diskutierteSchöpfer von so unterschiedlichen Werken wie der vierstündigen Oper«Einstein on the Beach» und dem Soundtrack zum Hollywood-Film «DieTruman Show» gilt seit langem als führender Vertreter desmusikalischen Minimalismus. Seine minutiös gewirkten Klangteppiche,mit repetitiven rhythmischen Strukturen entfalten ihrenunverwechselbaren Klang aus der Aufreihung und Überlagerung kurzerFolgen. Der «Godfather» neuer experimenteller Musik feiert amMittwoch (31. Januar) seinen 70. Geburtstag.

Gegen die Schublade Minimalist wehrt sich der 1937 in Baltimore(US-Bundesstaat Maryland) geborene Komponist und Musiker vehement.«Das klingt mir zu sehr nach Sparsamkeit und Kasteiung», sagte ereinmal. Einschränken lassen wollte sich der ehemalige Mathematik-Student nie - lieber aus dem Vollen der Weltmusik schöpfen. Zwarholte er sich seine klassische Ausbildung bei der Komponistin,Musikpädagogin und Dirigentin Nadia Boulanger in Paris, bei der auchLeonard Bernstein Schüler war. Inspiriert wurde sein Stil jedoch inden 60er Jahren von dem indischen Sitar-Spieler Ravi Shankar - nochbevor den die Beatles entdeckten. Neue Methoden der rhythmischenStrukturierung und die Regeln anderer Tonsprachen studierte Glass aufReisen durch Nordafrika, den Mittleren Osten und Südostasien.

Der internationale Durchbruch gelang 1974 mit der Uraufführungseiner 240 Minuten langen Komposition «Music in Twelve Parts» in derNew Yorker Town Hall. Kritiker verglichen das Stück mit der Bedeutungvon Johann Sebastian Bachs Barockwerk «Kunst der Fuge». Mit der Oper«Einstein on the Beach», die er zusammen mit Robert Wilsonproduzierte (Uraufführung 1976 im französischen Avignon), setzte sichGlass an die Spitze der musikalischen Avantgarde. 1980 folgte diezweite Oper, «Satyagraha», über die Erlebnisse des jungen AnwaltsMahatma Gandhi in Südafrika. Mit der im März 1984 in Stuttgarturaufgeführten Oper «Echnaton» über den ägyptischen Sonnenkönigvollendete Glass diese Trilogie.

Sein großer Erfolg basiert auch darauf, nicht nur den Ansprüchendes Bildungspublikums gerecht zu werden, sondern zudem Pop- und sogarPunkfans zu erreichen. Glass erklärt zwar heute noch kokett: «Ichhabe keine Ahnung von Rock'n'Roll.» Musiker und Bands wie DavidBowie, Brian Eno, Kraftwerk, Talking Heads und Tangerine Dream ließensich aber von ihm inspirieren und arbeiteten teilweise mit ihmzusammen. Sogar die Punk-Szene Ende der 70er Jahre machte ihn zueinem ihrer Idole.

Seit Beginn der 80er Jahre komponiert der Amerikaner auchFilmmusiken für Hollywood - mittlerweile sind es über 70. Dazu gehörtder gesellschaftskritische Streifen «Koyaanisqatsi» (indianischesWort für «Leben im Ungleichgewicht»), den Francis Ford Coppolaproduziert hat. Es ist eine aufregend bedrückende Psychoreise in dieMassengesellschaft - ohne Text, nur mit den eindringlichen Tönen vonPhilip Glass. Auch für Martin Scorseses «Kundun» über Tibet schrieber die Musik, der Soundtrack für Peter Weirs «Die Truman Show»brachte ihm gar einen Golden Globe ein.

Seine jüngste Oper «Waiting for the Barbarians» basiert auf demgleichnamigen Roman des südafrikanischen LiteraturnobelpreisträgersJ. M. Coetzee und wurde 2005 in Erfurt uraufgeführt. Das Werkhandelt von der Ignoranz einer imperialistischen Großmacht - eineklare Kritik am Krieg der US-amerikanischen Bush-Administration gegenden Irak. Die Themen gehen also Glass, einem der innovativsten undeinflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts wohl noch langenicht aus. Schließlich kommen ihm die Inspirationen im Schlaf: «Ichhatte schon äußerst präzise musikalische Träume, in denen ich ganzeStücke gehört habe, an denen ich gerade arbeitete - vollständigaufgeführt», sagte er in einem «Zeit»-Interview.