Pharoah Sanders Pharoah Sanders: Klassischer Revoluzzer
Halle/MZ. - Kurz nachdem John Coltrane im Winter 1964 mit "A Love Supreme" die vielleicht schönste Platte der Jazzgeschichte aufgenommen hatte, löste er sein legendäres Quartett auf. Er war auf seinem Zenit und ging den konsequenten Schritt weg vom Etablierten hin zur jungen New Yorker Avantgarde. Und nur einer wie der integre Sucher Coltrane konnte im Zuge solcher Neuorientierung das Einmalige tun: Er holte sich mit dem damals 25-jährigen Pharoah Sanders einen an die Seite, der das gleiche Instrument spielte.
Sanders auf dem Tenorsaxophon war wilder, expressiver. Er war die Inkarnation des Schreis, der in Coltranes Gesellschaft in größtmögliche Zusammenhänge gestellt wurde. "Ich liebe die Stärke seines Spiels so sehr ... es war mein Vergnügen und Privileg, dass er Lust hatte mir zu helfen", sagte der Lehrmeister über seinen Kronprinzen. Zwei Jahre später war er tot.
Seither ist Pharoah Sanders im Windschatten seines verlorenen Vaters unterwegs. Ein Suchender, berstend vor Kraft, ein bewegender Erneuerer mit höchst eruptiven Ausdrucksmöglichkeiten, einer mit dem langen Atem für seinen markanten Ton, einer mit unbändigem Puls für einmaliges Energiespiel. Heute, knapp 40 Jahre und Dutzende CDs von wechselnder Qualität später, tourt er mit neuem Quartett. Nie war er dem griffigen Jazz-Mainstream so nah wie heute.
Und nie hat der Turm-Jazzclub in der halleschen Moritzburg seine Saison mit einem solchen Paukenschlag eröffnet. Im Saal herrscht Rauchverbot, Wasserflaschen stehen auf einer mit orthodoxem Instrumentarium bestückten Bühne: Klavier, Bass, Schlagzeug und zwei Mikrofone für den legendären Hymniker der Intensität, der neuerdings eine überraschende Zweitkarriere als begehrte Basis für DJ-Remixe gemacht hat. Recht lange lässt er auf sich warten - und dann sagt er sofort, woher er kommt. Er hebt an zu Coltranes sinnlicher Ballade "Naima", die er im Fortgang des Abends noch in einer zweiten Fassung spielen wird.
Das ist nicht mehr der laute Teilhaber und Herausforderer. Das ist einer, der sich in die großen Themen des Jazz versenkt: souverän und an diesem Abend fast einen Tick zu routiniert. Das ist ein markantes Monument, auch dann, wenn sich die Spiellust in Grenzen hält. Kein Lachen, keine großen Worte von diesem Revolutionär, der sich zum Klassiker beruhigt hat.
Man erkennt ihn am Ton, der im Fortgang des Abends harscher wird und kontrolliert bleibt, wobei der gut gefüllte Turm in zugeneigte Bewegung gerät. Am Piano braut William Henderson genau die perlenden Stimmungen, auf denen sich diese Linien entfalten können. John Betsch schlägt dazu abstrakt die Trommeln und Matt Garrison grundiert die zeitlos schönen Gebilde vom Stick-Bass her oder hebt am fünfsaitigen E-Bass ab zu den spannendsten Solos des Abends.
Und genau bei ihm schließt sich der Kreis: Er ist der Sohn von Coltranes Stammbassist Jimmy Garrison, dem er immer die Treue hielt.