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Peter Huchel Peter Huchel: Auf den Feldern der Kindheit

Von Christian Eger 02.04.2003, 16:53

Halle/MZ. - Abgestellt, abgehängt, ein Mann auf dem toten Gleis. So lebte Peter Huchel hin - damals in der bleiernen 60er-Jahre-Zeit, die denjenigen schnell und wie endgültig umschließen konnte, der im Ulbricht-Staat nicht ganz auf der kulturell korrekten Linie war.

Neun Jahre fristete der bedeutendste ostdeutsche Dichter nach Brecht von 1962 an bis zur Ausreise isoliert und von insgesamt 24 Stasi-Spitzeln beobachtet im märkischen Wilhelmshorst, einem Flecken südlich von Potsdam. Umschlossen von einer deutschen Waldeinsamkeit neuer Art: Denn von 1949 an ist Huchel Chefredakteur der Ostberliner Literaturzeitschrift "Sinn und Form" gewesen (einem Magazin mit einem damals wie in Marmor gemeißelten europaweiten Ruf), bis er 1962 vom SED-Politbüro vor die Redaktions-Tür und quasi in den Wald gesetzt wurde.

Die Gründe lagen auf der Hand: Huchel hatte zu viel freie weite Welt und zu wenig graukarierte SED-Provinz in sein Blatt geholt. Was sich in den Jahren darauf an Demütigungen und Repressalien ereignete, ist heute alles nachzulesen. An dieser Stelle sei nur Huchels nachgeborener Kollege Durs Grünbein zitiert, der 1997 erklärte: "Was immer dereinst noch zum Lob jener schmächtigen Republik vorgebracht wird, es ist wertlos hält man den Fall Huchel dagegen". Dabei blieb Peter Huchel, wie Hans Mayer schrieb "draußen im Walde von Wilhelmshorst, nichtreisend und scheinbar unbeweglich" stets "den viel emsigeren literarischen Zeitgenossen um ein Jahrzehnt voraus". Der also, der sich nicht bewegt, steht vorn in Zeiten rasenden Stillstands, am Rand und doch mittendrin. "Draußen" in Wilhelmshorst meint auch "draußen" in einem gesellschaftlichen, kulturbetrieblichen, letztlich auch literarisch-ästhetischen Sinn.

Denn nie ist Huchel, der von der Landschaftsdichtung der 20er Jahre herkommt, ein Mann der ästhetischen Hauptstraßen gewesen. Er hielt seine nah an den Dingen und Substanzen sprechende Lyrik stets gegen die Mode: die des Expressionismus am Beginn und am Ende die einer volkspädagogisch-sentimentalen Läuterung in der DDR.

Der Dichter Lutz Seiler, Jahrgang 1963, hat Huchel in der aktuellen Nummer von "Sinn und Form" einen passionierten Essay gewidmet, in dem er auch über Huchels "Draußen"-Sein reflektiert. Nicht zufällig: Seit 1995 lebt Seiler als Schriftsteller und Leiter der Huchel-Gedenkstätte im ehemaligen Wilhelmhorster Wohnhaus des Dichters. Nach Huchels Abgang Richtung Westen zog hier der Lyriker Erich Arendt (1903-1984) ein: Er starb 1984 in einem kleinen oberen Zimmer, das der Familie Seiler heute als Kinderzimmer dient.

Bis heute, sagt Seiler, sei Huchel eigentlich "draußen" geblieben: Er sei "der Abgewandte, im selben Haus, aber meist in einem anderen Zimmer". So kenne er keine Hinweise von Freunden des Dichters, schreibt Seiler, die darauf schließen ließen, dass sie Huchel einst auch "nahe" waren; der Ausgeschlossene war ein Verschlossener zeitlebens. So wie auch seine Lyrik vor und nach 1989 einer populären Wirkung verschlossen blieb.

Huchels Gedichte setzen auf Erinnerung statt auf Erlösung. Das Gedicht "Caputher Heuweg" zum Beispiel hebt an: "Wo bin ich?", bevor es die märkische Kindheitslandschaft aufruft. Bei Huchel führt das "wo" zum "wer": Die Frage "Wer bin ich?" findet seine Antwort im "Wo bin ich?". Huchel beschwört aus dem Verlust heraus: Geräusche, Stimmungen, das vergessene Inventar einer Kindheit auf dem Lande vor dem Ersten Weltkrieg. Kein Anrufer, sondern ein Anzeiger ist Huchel. Mehr als seine mit mythischem Personal aufgerüsteten und aufs Gleichnis zielenden Verse, sind es die originär märkischen Gedichte, die berühren, indem sie Kindheit und Landschaft engführen: Großartige Abteilungen in den Bänden "Chausseen, Chausseen" und "Gezählte Tage".

1981 starb Peter Huchel in Staufen, 78 Jahre alt. Bis zum Schluss galt ihm die Kindheit als jenes Erlebnis, das sein Leben nachhaltig sortierte. Huchel zitierte Augustinus, sprach er von der Richtung seiner Dichtung: "Im großen Hof meines Gedächtnisses, daselbst sind mir Himmel, Erde, Meer gegenwärtig".