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Ovationen für «La Juive - Die Jüdin» in Stuttgart

Von Martin Roeber 23.03.2008, 12:07

Stuttgart/dpa. - Pogrom im Judenviertel, das Konzil von Konstanz, ein jüdischer Goldschmied, der ein christlich geborenes Mädchen als Tochter aufzieht, die verbotene Liebe eines christlichen Kriegshelden zu einem jüdischen Mädchen, Todesurteile und Racheschwüre

Fromental Halévys Grand Opéra «La Juive - Die Jüdin» gilt als schwer verdaulicher Opernbrocken. 1835 in Paris uraufgeführt, von Richard Wagner begeistert begrüßt, von den Nazis verboten, ist das groß besetzte Werk nur selten auf den aktuellen Spielplänen der Opernhäuser zu finden. Trotz einiger Wiederbelebungsversuche der letzten Jahre: Die Premiere in der Staatsoper Stuttgart kommt einer Entdeckung gleich.

Zum ersten Mal ist eine fast ungekürzte, mit Pausen gut fünfstündige Fassung zu erleben, die das vollständige musikalische Material Halévys (1799-1862), einschließlich der Ballettmusiken erklingen lässt. Und das Regieteam Jossi Wieler und Sergio Morabito liefert eine faszinierende, temporeiche, emotional packende Aufführung, die - ohne vordergründige Aktualisierung - die zeitlose Thematik des Werks in überzeugenden Bildern auf die Bühne wuchtet. Es geht um religiöse Toleranz, politische Macht, Erotik, Heldentum und Feigheit. Jacques Francois Fromental Elias Halévy, Sohn eines deutsch-jüdischen Kantors, konnte ein so brisantes Werk nur im Frankreich der Juli-Revolution nach der Abschaffung der Zensur auf die Bühne bringen.

Das Problem jeder Aufführung: «La Juive» fordert pompöse Massenszenen, wuchtige Chöre und kitschige Balletteinlagen - Kostümorgien à la Hollywood. Auf der anderen Seite stehen sensible, kammermusikalische Monologe und Duette. Wieler und Morabito haben zum Glück den Bühnenbildner Bert Neumann zur Hand. Und der zaubert ein höchste realistisches Konstanz auf die Drehbühne: Dem Kirchenportal gegenüber steht das Butzenscheiben-Fachwerkhaus des jüdischen Goldschmieds. Davor spielen die aufwendigen Chorszenen. Dreht sich die Bühne, kann man das Innenleben der Häuser studieren: Da treffen sich Juden heimlich zum Osterfest; da gibt die schöne Rachel dem Kriegshelden Leopold ein Stelldichein.

Wieler und Morabito inszenieren «La Juive» als Treffen von Theaternarren: Man kostümiert sich und spielt Mittelalter - allerdings mit tödlichem Ausgang. Wenn der Sieg über die ketzerischen Hussiten mit einer Alkoholorgie gefeiert wird, dann kommt es schon mal zu einer Prügelei zwischen drei konkurrierenden Papstanwärtern. Das Kinderballett der Stuttgarter John-Cranko-Schule steuert hinreißende und lebendige Bilder aus dem Krieg zwischen Orient und Okzident bei. Und der Chor der Staatsoper Stuttgart (Leitung: Michael Alber) glänzt als reaktionssicheres Ensemble von Individualisten. Wieler und Morabito liefern attraktives Augenfutter; sie beweisen aber auch, dass Halévys «Jüdin» in der Tradition von Lessings «Nathan» steht.

Für die musikalische Qualität der Produktion bürgt Sébastien Rouland. Der junge französische Dirigent lässt sich nicht festlegen. Er ist als Operettendirigent so sattelfest wie als Barockspezialist und er ist bei Mozart ebenso zu Hause wie bei der Musik des 20. Jahrhunderts. Für seine Stuttgarter «Jüdin» wurde er zu Recht gefeiert. Das Solistenensemble überzeugt durch sein Engagement für eine vergessene Oper. Tatiana Pechnikova als Rachel, Catriona Smith (Princesse Eudoxie), Chris Merritt (Goldschmied), Liang Li (Kardinal) und Ferdinand von Bothmer (Léopold) - sie alle setzen sich auf hohem Niveau ein für eine zu Unrecht vergessene Oper.

www.staatstheater-stuttgart.de