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Otto Rasch Otto Rasch: Von Wittenberg nach Babyn Jar

Von ALEXANDER BAUMBACH 20.01.2012, 18:41

Halle (Saale)/MZ. - Die Marschroute des Grauens nimmt ihren Ausgang in Pretzsch an der Elbe. Zwischen Mai und Juni 1941 sammeln sich hier Mannschaften und Offiziere des Reichssicherheitshauptamts, die hinter der Wehrmacht nach Osten vorrücken sollen - um in einem beispiellosen Akt menschlicher Verirrung Sowjetfunktionäre und die "jüdische Intelligenz" der Sowjetunion zu vernichten. Die Geburtsstunde der "Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD" ist Teil der letzten Vorbereitungen zu "Operation Barbarossa", dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Heinz Höhne formulierte in seinem Buch "Der Orden unter dem Totenkopf" etwas plakativer: "3 000 Männer jagten Rußlands 5 Millionen Juden".

An der drei Jahre zuvor gegründeten "SS-Grenzpolizeischule Pretzsch" taucht auch ein Mord-Lehrling auf, der früher schon einmal in der Gegend war - Otto Rasch. Der SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei bekleidete ein Jahr lang das Amt des Wittenberger Oberbürgermeisters. Der NSDAP-Kreisleiter Otto Heidenreich hatte den Intellektuellen, der in Politikwissenschaftler und Jura an der Leipziger Universität promoviert hatte, für das Amt vorgeschlagen. Im Juni 1935 wird er zum OB berufen, seine zweite Verwendung als Bürgermeister nach Radeberg (seit 1. Juli 1933). Im Sommer 1936 ist es dann schon wieder vorbei, SA-Obergruppenführer Curt von Ulrich bestätigt den damals 45-Jährigen nach Ablauf des Probejahrs nicht in seinem Amt.

Aus dem Wittenberger Tageblatt geht hervor, dass es Unregelmäßigkeiten beim Bau der Dienstvilla in der damaligen Hauptmann-Berthold-Straße gegeben haben musste. In der Zeitung gibt es bemerkenswerterweise keinen Dank und keinen Abschied für den scheidenden OB. Seiner Karriere tut das freilich keinen Abbruch - nach dem Ausflug in die Lokalpolitik besinnt er sich auf seine alten Verbindungen in der "Schutzstaffel" und im SD. Als Gestapo-Chef in Frankfurt am Main und in Oberösterreich bewährt er sich, Anfang 1939 trifft man den gebürtigen Schleswig-Holsteiner als SD-Chef in Prag wieder. Anschließend folgt eine ähnliche Verwendung in Königsberg. Am 31. August 1939 leitete Rasch dann den Überfall auf das Forsthaus Pitschen - Teil des fingierten Überfalls auf den Sender Gleiwitz, der den Nazis die Ausrede für den Überfall auf Polen lieferte.

Mit Beginn des Rußlandfeldzuges folgt Raschs Truppe dann der Heeresgruppe Süd auf ihrem Weg durch die Ukraine. Bis Oktober bleibt er Anführer von ungefähr 700 Mann, die in vier Sonderkommandos unter seinem Befehl vagen Berechnungen zufolge 80 000 Menschen umbringen.

In seinen Verantwortungsbereich fällt auch das Massaker von Babyn Jar, das nach dem Einmarsch von 6. Armee und Heeresgruppe C der SS in Kiew stattfand. Obwohl die jüdische Bevölkerung der Stadt zum großen Teil geflohen war, blieben etwa 50 000 Personen zurück, vorwiegend ältere Männer, Frauen und Kinder. Als Vergeltung nach Explosionen und Bränden im Stadtzentrum werden schließlich 33 771 Juden vor den Toren Kiews erschossen.

Rasch, der nach seinem Ost-Einsatz als Direktor der "Kontinentale Öl" wieder in die Zivilwelt und an den Schreibtisch zurückkehrte, wurde nach Kriegsende verhaftet. Am 5. Februar 1948 schied er wegen einer Parkinson-Erkrankung aus dem Einsatzgruppen-Prozess aus und starb am 1. November 1948 daran in der Haft.