Otto IV. Otto IV.: Zwischen Sonne und Mond thront der vergessene Kaiser
BRAUNSCHWEIG/MZ. - Er gilt als derSchattenkaiser der Deutschen, als Zwischenherrscherohne Geschichtsschreiberlobby, abgeschobenins Reich der Fußnoten. Nahezu ein Vergessenerist Otto IV., der drittgeborene Sohn des mythischverklärten Welfen-Herzogs Heinrich des Löwen:kleingedruckt und kleingeredet. Der einzigeKaiser, den die Welfen jemals hervorgebrachthaben, war der eigenen Familie stets etwaspeinlich.
Denn Otto IV. - 1175 oder 1176 in Braunschweiggeboren, 1209 in Rom zum Kaiser des deutsch-römischenReiches gekrönt und 1218 auf der Harzburgbei Goslar gestorben, verspielte bis auf seinenbraunschweigischen Kernbesitz alles an Machtund Gelände, was ihm in seiner turbulentenKarriere zugefallen war. Die um 1400 für Heinrichden Löwen und Otto IV. gefertigte Gedenktafelim Braunschweiger Dom St. Blasii zeigt, wohindie Meinung der Nachwelt ziehen sollte: währendin heilsgeschichtlicher Sicht für Ottos Eltern"Engelspeisen" erbeten werden, soll der Sohnlängst "Mahlzeit der Würmer" sein.
Zu Recht oder zu Unrecht? Aber bevor der Daumengehoben oder gesenkt werden kann, muss ersteinmal freigelegt werden, was es mit diesemhistoriografisch vernachlässigten Otto aufsich gehabt hat. Damit begann vor 20Jahrender Vechtaer Historiker Bernd-Ulrich Hucker.Und es ist Hucker, dessen Name in der niedersächsischeLandesausstellung veranstalteten Schau "OttoIV. - Traum vom welfischen Kaisertum" immerwieder zu finden ist: als Leiter des WissenschaftlichenBeirates und Autor der wichtigsten Aufsätzedes gehwegplattenschweren Kataloges.
Plötzlich auf der Weltbühne
Es ist nach außen hin eine Schau im heuteüblichen XXL-Format, für die alle verfügbarenMarketing-Register gezogen werden. Präsentiertwird der Gang durch Ottos Leben an drei Ortenrund um den Burgplatz von Braunschweig, derein kulturhistorisch sensationelles Ensemblebietet: den von Heinrich dem Löwen gestiftetenDom St. Blasii, die im 19. Jahrhundert historistischüberbaute Burg Dankwarderode und das um 1800errichtete Vieweg-Haus, Sitz des Landesmuseums.Wer sich das Braunschweig der Welfen jemalsim Zusammenhang erschließen wollte, solltees im Zuge der Otto-Schau tun. Ärgerlich nur,dass ein Open-Air-Theater ausgerechnet indiesen Tagen den Blick über den Platz hinverstellt.
Doch zunächst zu Otto - und dem Kern des Kaisertraumes,der mit dem Welfen-Herzog Heinrich dem Schwarzenbeginnt, der 1127 dem späteren Kaiser LotharIII. zur Königswürde verhalf. Eine Leistung,für die Heinrichs Sohn, nämlich Heinrich derStolze, die Tochter des Kaiserpaares zur Frauerhielt: Mutter Heinrichs des Löwen, GroßmutterOtto IV. Von Gertrud an hatten die Welfenalso etwas Kaiserliches im Blut, das schließlichmit Otto voll zur Geltung kommen sollte.
Aufgewachsen im Umkreis seines Großvaters,des englischen Königs Heinrich II., gerietOtto mit dem Tod König Heinrichs VI. überraschendauf die Weltbühne. Denn ein Nachfolger wurdegesucht, ein Konsens unter den Reichsfürstenaber nicht gefunden, so dass man zwei Königewählte: den Staufer Philipp von Schwaben,gekrönt in Mainz, und den Welfen Otto, gekröntin Aachen. Fortan boten sich die Gegenkönigeeinen Krieg um die Kaiserwürde, der mit demüberraschenden Tod Philipps 1208 für Ottoentschieden wurde. Obwohl Papst Innocenz III.den Welfen zum Kaiser krönte, entschied sichdieser, gegen den Papst zu Felde zu ziehen.Der sagte von sich, dass er die Sonne, Ottonur der Mond sei. Ottos Siegel aber zeigtSonne und Mond zugleich. Dass er weite Teiledes Kirchenstaates besetzte, brachte den Kaiserschließlich zu Fall.
Die Ausstellung arbeitet das Leben des Kaisersrecht ordentlich ab, von Akte zu Akte sozusagenüber elf Kapitel hinweg: von der Wiege biszur Bahre und dem bösen Ruhm danach. Schaustücke,die man sonst nicht sieht: Beigaben aus demGrab Kaiser Lothar III. und seiner Ehefrau;der Ptolemäer-Kameo, ein handtellergroßerPrunk-Edelstein aus dem Kölner Dreikönigs-Schrein;Ottos roter Prunkmantel, der 1858 zu einerKirchendecke umgearbeitet worden war.
Einfallslos über den Fakten
Doch die Größe einer Schau ist das eine,deren Darstellungskraft etwas anderes. Manstößt in Braunschweig nicht etwa vom Besonderenins Allgemeine vor, sondern zieht hier bravund einfallslos mit der Lupe an den Datenentlang. So erkennt man die Welt vor Einzelfaktennicht. Weder ein Bild des Kaisers entsteht,noch eines seiner Mitwelt. Dabei, was hätteman zeigen können: das Reich! Rom!, die Weltum 1200! Aber eben auch einfachste Dinge werdennicht erläutert: Wie trug der Kaiser eigentlichseinen Purpurmantel? Und so fort. Am augenfälligstenwird die langweilige Ruppigkeit im Abschnittzum Nachleben des Kaisers: Hier werden einfachBücher zur Sache aufgeklappt in Vitrinen gepackt.
Der Dom St. Blasii entschädigt für einiges,auch wenn die Otto-Spuren kaum hinreichenddokumentiert sind. Das Grab des Kaisers wurdeum 1700 abgeräumt: Heute wäre Otto IV. inder "Welfen-Tumba" zu finden, einem Sarkophag,der 13Welfen-Herrscher fasst. Der Ausstellungsbesucherindes findet seinen Otto im Katalog zur Schau,einem akademischen Ehrengrab erster Klasse.
Bis 8. November: Mo-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr; Katalog: Imhof Verlag, 512 Seiten, 29,95 Euro; Kurzführer: 32 S., 5 Euro