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Ostrale in Dresden Ostrale in Dresden: Hinter dem Rubikon

Von joachim lange 19.08.2013, 05:27
Die niederländische Künstlerin Lilith Love zeigt: Bunny In The Tube.
Die niederländische Künstlerin Lilith Love zeigt: Bunny In The Tube. lilith love/ ostrale Lizenz

dresden/MZ - „We cross the Rubicon.“ Man hätte das auch Deutsch sagen können, aber die moderne Kunst findet sich selbst erst richtig modern, wenn ein englisches Etikett draufgeklebt ist. Geschenkt - das ist eben so. Dieses Motto der siebenten Ostrale in Dresden hat auch etwas von Selbstermunterung. Das in Anspielung auf das Caesar-Wort gewählte „Wir überschreiten den Rubikon“ soll wohl auch heißen: Wir sind jetzt aus dem Stadium der (Ver-)Suche, der Selbsterprobung und des Vorläufigen heraus und haben die Grenze zum Etablierten, nicht mehr Wegzudenkenden überschritten.

Durch den Schlachthof

Eine jährliche Ausstellung mit Positionen der zeitgenössischen Kunst - das ist für die Barockstadt mit Wagner, Zwinger und den Pracht-Kunstsammlungen immer noch etwas Besonderes. Und gehört damit in die Rubrik Pionierarbeit. Leider merkt man das auch, wenn man an einem Wochentag das Ausstellungsgelände auf dem Ostragehege mit seinen weitläufigen historischen Schlachthofbauten (mit immerhin 15 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche und einer Außenfläche von 50 000 Quadratmetern) besucht. Da kann es schon mal passieren, dass man mehr Ruhe zum Betrachten der Objekte hat, als einem lieb ist. Aber Geduld und langer Atem gehören nun mal wie der Enthusiasmus für die Kunst dazu. Und das Vertrauen der Macher auf die eigene Fähigkeit, Qualität zu bieten.

Diese Professionalisierung zeigt sich in diesem Jahr schon allein am fertig gewordenen Katalog (der leider biografische Angaben zu den Künstlern unterschlägt) und nicht zuletzt daran, dass, trotz des aktuellen Elbe-Hochwassers während der heißen Vorbereitungsphase, alles pünktlich fertig wurde.

Dabei haben die beiden Ausstellungsmacher und Ostrale-Direktoren Andrea Hilger und der neu eingestiegene Moritz Stange der Versuchung widerstanden, zu expandieren. Stattdessen haben sie auf Reduktion (etwa 90 Künstler aus 17 Nationen sind vertreten) und vor allem auf Qualität gesetzt. Als Hochschule ist diesmal „nur“ die heimische Dresdner Hochschule für Bildende Künste vertreten.

Mit den von einer Jury ausgesuchten Positionen zeitgenössischer Kunst will die Ostrale, nach den Worten ihrer Leiterin Andrea Hilger, Kunst als Kapital und Kernbestand unserer Gesellschaft etablieren. Dabei stellt schon der Ausstellungsort, das von Hans Erlwein erbaute Schlachthofensemble, von selbst die Verbindung zu Stadt und Region her. Das gelingt auf dem Weg durch die Futterställe und den Heuboden, einem dezent mit Ausstellungsinfrastruktur angereicherten Gelände, und durch das Einbeziehen einer Messehalle nebenan, wo Via Lewandowsky 80 Lautsprecher seiner Klang-Installation „Applaus“ (2013) aufgestellt hat, die Rituale von Beifallsbekundungen reflektieren.

Während der Heuboden die Exponate eher nebeneinander stellt, profitieren die Futterställe zu ebener Erde von einem jeweils ganz eigenen Raum-Charisma. Der Hauch einer Mini-Biennale weht durch die Räume und über das Gelände. Wobei der einstige Burg-Absolvent Axel Anklam sogar in Venedig und auf der Freifläche hinter den Stallgebäuden vertreten ist. In Dresden mit seinem amorphen Objekt „Honey Spoon“ (2008).

Der 1971 in Dresden geborene, als Bildhauer ausgebildete Sebastian Hempel hat einen Raum mit einer blauen Lichtinstallation „überschwemmt“ und ihn in direktem Bezug zum Ausstellungsmotto „Rubicon“ genannt. Öffnet diese Arbeit einen Blick nach innen, so schafft er an derer Stelle mit seiner „Beziehungskiste“ (2006) einen Eindruck von Irritation und Beklemmung. Scheint eine ausdrückliche Warnung vor Platzangst beim Betreten der aus transparenten Polycarbonatplatten bestehenden, begehbaren Box noch übertrieben, erschließt sich ihr Sinn schnell, wenn man die erste mobile Wand selbst bewegen muss, um weiterzukommen. Auf eine eher klassische Irritation der Wahrnehmung setzt der Niederländer Olaf Mooij. Seine „Relicts of a Bygone Era“ sehen auf den ersten Blick aus wie in Apothekergefäßen eingelegte und konservierte Embryonen oder Absonderlichkeiten in einem barocken Wunderkabinett. Bei näherem Hinsehen erweisen die sich aber als kleine Automodelle oder -teile.

Merkel sprayt in New York

Eine etwas makaber wirkende Variante dieses Effektes stellt sich ein, wenn man vor der Installation der Italienerin Simone Cametti steht. An der Wand hängen 53 hinter Glas gerahmte Oberschenkelknochen. Davor liegen scheinbar beziehungslos Mikadostäbe. Die Provokation für das Nachdenken ergibt sich, wenn man weiß, dass sie diesen Knochen entstammen.

Hin und wieder wird es direkt politisch. Im Format eines Tafelbildes haben Ulu Braun und Roland Rauschmeier in der Videocollage „Merkel“ die Bundeskanzlerin nach New York versetzt. Dort wird sie aber nicht als Staatsgast gezeigt, sondern wie sie sich als Sprayerin betätigt und ihre Versuche in diesem Genre offenbar zu verkaufen versucht. Fasziniert schaut man auch auf Ulu Brauns VideoArbeit „Westcoast“ (2009) in der Messehalle. Diese Video-Collage ist ein Weltenpanorama, das an die Bilder von Hieronymus Bosch erinnert. Auf dem Heuboden schließlich begegnet man einem überlebensgroßen, grünen Monsterraumanzug, den Florian Froese-Peeck wie einen gestürzten Roboter platziert und „Heimat“ nennt. Schaut man durch die Scheibe seines Helmest, wird klar warum.

Die siebente Ostrale bietet eine große Vielfalt von künstlerischen Positionen – die Konzentration auf die Qualität der Werke und den besonderen Reiz des Geländes zahlen sich aus und lohnen den Besuch.

Ostrale: bis 25. September, im Messe-Gelände bis 25. August.

Geöffnet: Di-Do, So 11-20, Sa 11-22 Uhr

Das Festival im Internet: www.ostrale.de