Ostdeutsche Dichterstätten: Carwitz Ostdeutsche Dichterstätten: Carwitz: Fluchtort, verlorenes Zuhause
Carwitz/MZ. - Schon die Jahreszahlen markieren ein Spannungsfeld: Von 1933 bis 1944 hat der Rudolf Ditzen alias Hans Fallada hier gelebt, vom Machtantritt der Nazis fast bis zum Kriegsende - elf von nur vierzehn Jahren, die ihm bis zu seinem Tod 1947 noch blieben.
Als er die Büdnerei Nr. 17 im mecklenburgischen Flecken Carwitz nahe Feldberg kauft (der große Erfolg des ein Jahr zuvor erschienenen Romans "Kleiner Mann, was nun?" setzte ihn in den materiellen Stand dafür), hat der 40-Jährige bereits ein schwer konfliktbeladenes Leben hinter sich. Falladas Jugend im wilhelminischen Deutschland ist exemplarisch für die inneren Brüche des untergehenden Kaiserreichs gewesen: das Aufbegehren gegen die strenge Welt der Väter, ein als Duell getarnter, gescheiterter Doppelselbstmord (bei ein Schulfreund stirbt), später Drogenabhängigkeit. In den 20er Jahren muss Ditzen wegen Unterschlagung in Haft...
Mit Anna Issel, die er 1929 heiratet, kehrt endlich etwas Frieden in Falladas getriebenes Leben ein, 1930 wird Ulrich, ihr erstes Kind, geboren. Aber die Zeiten sind nicht ruhig. Nachdem der Autor 1933 einen Zusammenstoß mit den neuen Machthabern hatte und von der SA in Haft genommen worden war, ist der Auszug in das weltabgeschiedene Dorf auch eine Flucht. Carwitz, der Glücksort? Geht man über das Anwesen am See, springen einen Falladas heiter-hintersinnige, kleine Geschichten förmlich an: jene "aus der Murkelei" ebenso wie "Fridolin, der freche Dachs".
Dabei sind Carwitz und die Familie wohl Ruhepunkt, nicht aber endgültig Heimat für den Dichter geworden. Für die eingesessenen Bauern war er ohnehin ein Fremder geblieben, sagt Manfred Kuhnke, 69, der das Fallada-Haus rührig leitet: Ein Stadtmensch war Ditzen, der obendrein etwas von Landwirtschaft verstand (das hatte er von der Pike auf gelernt), der Bücher schrieb, soff und am Ende seine Frau wegen einer anderen verließ... Was Carwitz auch bezeugt, sind Falladas Ängste und Zusammenbrüche, seine Kratzfüße vor den Nazis, von denen er doch (und aus ganzem Herzen) keiner war. 1934 hat er seinem Roman "Wer einmal aus dem Blechnapf frißt" eine devote, zudem auf den 30. Januar 1934, den ersten Jahrestag der neuen Macht, datierte Adresse vorangestellt, in den vierziger Jahren hat er sogar am Auftragswerk eines antisemitischen Romans gearbeitet.
1944, nach einem schlimmen Streit mit seiner geschiedenen Frau (und einem Schuss, der sich dabei löst), wird Fallada in die Landesanstalt nach Altstrelitz eingewiesen. Dort, in großer Bedrängnis und Gefahr, schreibt er den Roman "Der Trinker", das Kinderbuch von "Fridolin" und das so genannte Trinker-Manuskript - Erinnerungen aus der Nazizeit. Glücklich entlassen, heiratet er in Berlin seine neue Liebe Ursula Losch.
Nach Kriegsende macht ihn die Besatzungsmacht zum Bürgermeister von Feldberg, dann fördert ihn der Dichter und spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher. Der ist 1891, zwei Jahre vor Ditzen, geboren, hat eine ähnlich verletzte Jugend - bis zum versuchten Doppelselbstmord, bei dem eine junge Frau getötet wird. Und auch Becher hat ein Problem mit der Macht... Fallada aber stirbt 1947 in Berlin, wieder getrieben, fern vom Glück.
Fallada-Haus Carwitz, Mai-Okt. 10-17, Nov.-Apr. 14-16Uhr (außer montags), Führung nach Vereinbarung, Tel.: 039831/ 20359