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Okkulte SS-Mission in Tibet Okkulte SS-Mission in Tibet: Himmlers Mann Ernst Schäfer auf dem Dach der Welt

Von Steffen Könau 30.09.2017, 10:00
Der mitreisende Rasseforscher Bruno Beger vermisst eine Tibeterin.
Der mitreisende Rasseforscher Bruno Beger vermisst eine Tibeterin. Archiv

Achtzig Jahre danach ziert das Logo T-Shirts und Kaffeetassen, Bildbände werden neu aufgelegt und Kinofilme bedienen sich am Symbolvorrat, den Ernst Schäfer und seine Begleiter Ende der 30er Jahre anlegten.

Im Internet ist die „Deutsche Tibet-Expedition Ernst Schäfer“, wie sie offiziell hieß, ohnehin Ausgangspunkt für die verrücktesten Verschwörungstheorien: Schäfer, in Köln geboren und im thüringischen Waltershausen aufgewachsen, soll für SS-Führer Heinrich Himmler die hohle Erde ausgekundschaftet, in Tibet den Heiligen Gral gesucht und tausende tibetischer Kriegsfreiwilliger für Hitlers Leibgarde rekrutiert haben.

Verschwörungstheorie: Mit Hilfe von Ernst Schäfer soll Hitler bis in die Arktis geflohen sein

Nur mit seiner Hilfe, so heißt es in Verschwörungstheorien, die über die Jahrzehnte immer wilder wuchern, sei es Hitler nach dem Fall von Berlin gelungen, über Südamerika in die Antarktis zu entkommen. Wo der „Führer“ gemeinsam mit Weisen aus Tibet versucht habe oder bis heute versuche - so einig sind sich die braunen Esoteriker da nicht - Geheimwaffen zu entwickeln, um die Weltherrschaft doch noch an sich reißen zu können.

Ein Missbrauch der missbrauchten Wissenschaft im Grunde, denn schon Schäfers Reise nach Tibet in jenem Jahr 1938 verdankte sich einerseits den absurden Erwartungen von Heinrich Himmler. Andererseits wurde sie nur möglich, weil der aus einer großbürgerlichen Familie stammende Expeditionsleiter bereit war, für seinen Traum von Tibet Kompromisse mit dem Teufel einzugehen.

Von Haus aus Ornithologe, verstand sich Ernst Schäfer früh schon als eine Art Generalgelehrter. Er studierte Zoologie und Botanik, aber auch Geologie, Mineralogie, Chemie, Physik und Völkerkunde, was ihn in die Lage versetzte, einen ganzheitlichen Anspruch für seine Forschungen anzumelden. Raus aus der Spezialnische, rein ins pralle Leben - die Nationalsozialisten sprangen begeistert auf den antielitären Anspruch des Mannes an, der mit 20 seine Doktorarbeit geschrieben und mit 21 auf eigene Faust als Forscher nach Tibet gegangen war.

Himmler war von Tibet fasziniert

Das verbotene Reich auf dem Dach der Welt, seinerzeit noch völlig unzugänglich für Ausländer, faszinierte Himmler von jeher. Dort irgendwo, glaubte der zehn Jahre ältere „Reichsführer SS“, müsse der Ursprung des „Germanentums“ zu finden sein. Himmler, der sich im Dezember 1929 in Freyburg an der Unstrut zum „Gauführer“ des imaginären „Bundes Artam“ hatte ernennen lassen, glaubte fest an ein rassisches „Germanentum“, das seit Jahrtausenden vererbt werde. Dessen Quelle vermutete der von einem okkulten Seher namens Karl Maria Wiligut beratene Massenmörder im fernen Asien, bei „Tertiärmenschen“ (Himmler), in denen das „Germanen-Gen“ noch in reiner Form zu finden sein werde.

Ernst Schäfer mag das alles für falsch gehalten haben. Doch wie Peter Meier-Hüsing in seinem neuen Buch „Nazis in Tibet“ (hier bei Amazon kaufen) analysiert, sah der Mittzwanziger, den die Akademie von Philadelphia nach seiner zweiten Tibet-Reise zum Ehrenmitglied ernannt hatte, Himmlers Interesse an seinen Forschungen als Chance, nicht als Bedrohung.

Wissenschaftliche Grundlage für NS-Rassenideologie sollte geschaffen werden

Ernst Schäfer wurde Mitglied in Himmlers Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe, die nach dem Willen des Führers der SS „Geistesurgeschichte“ erforschen und damit eine wissenschaftliche Grundlage für die NS-Rassenideologie um den „arischen Herrenmenschen“ schaffen sollte. Schäfer wird Mitglied, tritt zudem freiwillig als Sturmbannführer in Himmlers SS ein. Im Gegenzug finanziert Himmler ihm das Abenteuer Tibet, wenn auch unter Zähneknirschen, weil Schäfers Forschungsziele den „kulturwissenschaftlichen Absichten des Reichsführers-SS“ zuweilen nicht passgenau zu entsprechen scheinen, wie es in einem Brief heißt.

Im April 1938 schifft sich Schäfer mit seinen vier Begleitern - alle sind SS-Offiziere - in Italien zur Reise ins britisch regierte Indien ein. Von dort aus schlägt er sich in Fußmärschen nach Osttibet durch, begleitet von diplomatischen Verwicklungen hinter den Kulissen, weil die Briten uneins sind, ob die Deutschen Spione sind.

Ernst Schäfer tut wenig, um den Argwohn zu beschwichtigen: Insgeheim führt er ein Funkgerät mit, über das seine Expedition Anweisungen aus Berlin, aber auch aufbauende Weihnachtsmusik empfangen kann. Er verärgert Provinzfürsten, indem er massenhaft seltene Vögel schießt. Und sein Begleiter, der Rasseforscher Bruno Beger, lässt nicht ab, Kopfformen von Einheimischen zu vermessen, obwohl die Briten es verboten haben.

Film „Geheimnis Tibet“ prägt Bild des in der Fremde nach Neuem suchenden Abenteurers

Mystisch ist nichts an der 16 Monate dauernden Reise, deren Höhepunkt ein zweimonatiger Ausflug in die verbotene Stadt Lhasa ist, den sich Schäfer durch trickreiche Manöver von lokalen Herrschern genehmigen lässt. Die fünf Wissenschaftler fangen Vögel, horchen in die Erde und sie vermessen erstmals die ziegenartige Paarhuferart Shapi. Den Urgermanen finden sie nicht, was die überstürzte Umkehr Tage vor Kriegsausbruch nicht weniger triumphal macht. 

Ernst Schäfer wird von der Propaganda zum deutschen Forscherhelden aufgebaut. Sein 1943 uraufgeführter Film „Geheimnis Tibet“ prägt das Bild des in der unwirtlichen Fremde nach Neuem suchenden Wissenschaftsabenteurers. Schäfer überlebt den Krieg im Schoß des Ahnenerbe, nach dem Krieg ist er Zeuge im Nürnberger Prozess, Professor in Venezuela und schließlich Oberkustos im Niedersächsischen Landesmuseum. (mz)