New Wave New Wave: Für immer Blondie
Halle (Saale)/MZ. - Das Werk von Udo Jürgens dürfte im Universum der Deborah Harry wohl keine Rolle spielen, ein Lied des deutschen Entertainers aber hätte man ihr gestern gern vorgespielt: "Mit 66 Jahren . . .". Exakt so alt nämlich ist die Sängerin, die in den 80er Jahren mit Blondie ein Weltstar wurde, am 1. Juli geworden. Und pünktlich zu diesem Jubiläum legt die vom Rolling Stone zur Punk-Pop-Königin ausgerufene Ikone ein neues Album vor, dessen Titel dem Trend zur Jugendlichkeit zu widersprechen scheint. "Panic of Girls", das auch der Juli-Nummer des Fachmagazins beigepackt wurde, ist die erste Neuveröffentlichung seit acht Jahren und die neunte in einer 37-jährigen Bandgeschichte.
Damals, 1974, arbeitete Debbie Harry als Kellnerin und Kosmetikerin in New York und träumte von einer Karriere im Show-Business. Doch obwohl sie im Restaurant "Max's Kansas City" neben Andy Warhol auch Miles Davis und Jimi Hendrix kennengelernt hatte, kam die entscheidende Wende erst in Gestalt des Gitarristen Chris Stein. Er holte die attraktive Sängerin in seine Band The Stilettos, aus der bald darauf The Angel and the Snake und noch ein wenig später Blondie wurde. Es war die Zeit des New Wave - und die kühle Blonde mit der fast synthetisch reinen Stimme schien wie geschaffen für diesen Stil. "Heart of Glass" wurde 1979 der erste Welthit, die Reggae-Nummer "The Tide is High" und der Filmsong "Call me" aus "American Gigolo" folgten - und dann schien die Karriere plötzlich vorbei.
Bei Chris Stein, mit dem Debbie Harry inzwischen auch privat liiert war, wurde eine seltene Krankheit diagnostiziert. Die langwierige Behandlung verschlang das Vermögen, die anderen Band-Mitglieder suchten entnervt das Weite . . . und als Stein geheilt war, hatte das Paar sich aus dem Blick verloren. Debbie Harry, die einst als Fotomodell für Künstler wie den "Alien"-Schöpfer HR Giger gearbeitet hatte, war inzwischen immerhin von der Hollywood-Avantgarde entdeckt worden und spielte in Filmen wie "Videodrome" von David Cronenberg oder "Forever: Lulu" von Amos Kollek. Ihren größten Erfolg feierte sie 1986 im Kultfilm "Hairspray" von John Waters, in dem sie an der Seite von Sonny Bono als eine Art Eislauf-Mutter auftrat.
Dann wurde es trotz einiger Solo-Projekte von Debbie Harry stiller - bis sich Blondie 1999 mit "Maria" in den Charts zurückmeldete. Und wieder war es die Frontfrau, die mit ihrer herzzerreißenden Stimme eine Dominanz entwickelte, gegen die ihre Musiker einst mit dem Sticker "Blondie is a Band" protestiert hatten.
Den können sie nun erneut auspacken, denn auch auf "Panic of Girls" gibt Debbie Harry den Ton vor - nicht zuletzt deshalb, weil die meisten Lyrics aus ihrer Feder stammen. Neben der Sängerin sind von der ursprünglichen Besetzung noch Chris Stein und der Drummer Clem Burke dabei. Die andere Hälfte der sechsköpfigen Band ist später zu Blondie gestoßen - und doch klingt der Opener "D-Day", als würden die 80er Jahre gerade erst beginnen. Treibende Drums, ein Keyboard im typischen New-Wave-Sound, die Vokallinien leicht elektronisch verzerrt - so kennt und liebt man die New Yorker Avantgarde von gestern.
Aber dabei bleibt es nicht - zum Glück. Mit "Mother" liefert Blondie zwar auch noch eine Elektro-Pop-Hommage an den Nachtclub CBGB in der 14th Street, in dem die Band ihre ersten Erfolge feierte. Ansonsten aber ist das Album erstaunlich vielseitig. Neben dem entspannten Reggae-Cover von Sophia Georges "Girlie Girlie" gibt es in "Wipe off my Sweat" karibische Klänge, in "Le Bleu" huldigt die Band französischen Meistern wie Jacques Brel oder Serge Gainsbourg - und am Ende ziehen sich alle "China Shoes" an.
Dass man sich im Studio in Woodstock mit jungen Produzenten wie Jeff Saltzman umgeben hat, der immerhin für den Welterfolg der Killers verantwortlich zeichnet, hört man dem neuen Blondie-Album an. Von einem Alterswerk kann also keine Rede sein - obwohl Titel wie "The End the End" durchaus in diese Richtung weisen. Aber Blondies Geschichte ist noch nicht zu Ende. Der Platte soll demnächst eine Tour folgen. Mit 66 Jahren . . . da fängt das Leben an.