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Nachkriegsliteratur Nachkriegsliteratur: Durs Grünbeins Klagelied auf Dresdens Vernichtung

Von Wolfgang Harms 12.09.2005, 11:33
In der Nacht zum 14.02.1945 griffen amerikanische und britische Flugzeuge Dresden an (Archivfoto von 1945). Der Dresdner Schriftsteller und Büchnerpreisträger Durs Grünbein hat dem Untergang seiner Heimatstadt jetzt mit dem Buch «Porzellan» ein beeindruckendes Klagelieg gewidmet. (Foto: dpa)
In der Nacht zum 14.02.1945 griffen amerikanische und britische Flugzeuge Dresden an (Archivfoto von 1945). Der Dresdner Schriftsteller und Büchnerpreisträger Durs Grünbein hat dem Untergang seiner Heimatstadt jetzt mit dem Buch «Porzellan» ein beeindruckendes Klagelieg gewidmet. (Foto: dpa) dpa

Frankfurt/Main/dpa. - Erst seit wenigen Jahren setzen sich einzelneAutoren mit jenem Thema auseinander, für das sich kaum einpassenderer Symbolort finden lässt als das noch drei Monate vorKriegsende vernichtete Dresden, die Heimatstadt des Lyrikers undBüchnerpreisträgers Durs Grünbein. Ihrem Untergang hat er mit«Porzellan» ein beeindruckendes Klagelied gewidmet.

Mit seiner Länge und seiner strophischen Gliederung wirkt der Textäußerlich wie eine Ballade, doch folgt er keinem erzählerischenAblauf. Grünbein springt vor und zurück in der Zeit, sitzt baldmitten im Bombenregen («Besenhexe kocht. Kocht Glas, Metall, Asphaltund Stein.»), folgt ein paar Verse weiter der Spur der Gewalt bis zurReichspogromnacht zurück («Unschuld, sagt ihr? Lag die Stadt nichtlängst geschändet?») und springt dann wieder nach vorne bis in dieGegenwart: «Leise, jedes Jahr im Februar trifft von weit her/ einenNerv der Loreley-Ruf Dresden, Dresden...».

Wie die Zeiten wechseln die Perspektiven. Grünbeins amFamilientisch («Mutters Mutter, wenn sie traurig war, hat vielerzählt») gespeiste dichterische Fantasie begleitet die in PanikFlüchtenden («Im Strom verloren, kleine Boje,/ Trieb es hin, dasKind, vieltausendfach vom Tod bedroht.») und denkt sich gleich daraufzu den kühl beobachtenden «bombing analysts»: «Ein Kreuz imPlanquadrat,/ Das war Dresden und sonst nichts».

Zum Panorama der 49 Strophen liefern Tod und Feuersturm nur wenigeSchreckensszenen. Mehr als für den Akt der Zerstörung interessiertsich Grünbein für das Zerstörte und den Schmerz des Verlusts. Daseinstige «Elbflorenz» avanciert dem 1962 Geborenen zum Inbegriff desHeiteren, Anmutigen, aber auch porzellanhaft Zerbrechlichen, dasNazi-Barbarei, Bombenteppiche und realsozialistische Tristesse nichtüberstehen konnte: «Jeder hier ein kleiner Kurfürst, um den Throngebracht.»

Doch nicht rückwärts gewandter Sehnsucht will Grünbein seinedichterische Stimme leihen: «Elegie, das kehrt wie Schluckauf wieder.Wozu brüten?» Auch will er die historischen Schulden nicht neuverteilen; sein Höllengemälde spart Führerfanatismus so wenig aus wiedie nazideutschen Luftangriffe auf Warschau und Coventry. Grünbeinwill individuelle und kollektive Erinnerung bewahren: «Worum geht'shier? - Einer lauscht,/ Was die Töchter Mnemosynes ihm diktieren».

Offenbar haben sie ihm Klartext diktiert: «Porzellan» verlangt demLeser keine interpretatorischen Anstrengungen ab und verzichtet aufjede Verschlüsselung. Reim und Rhythmus geben Grünbeins Strophenmusikalischen Klang. Wortwahl und antikisierende Gestalt dersechshebigen Verse entrücken manche Stellen ins Mythische, wobeiGrünbein keinen großkalibrigen Vergleich scheut: «Und von der Stadtam Morgen/ Wie von Troja blieb, Pompeji, nur ein Trümmerfeld. Gog undMagog torkelnd unterm Blick der Gorgo ...» Solch tonnenschwereMetaphern wirft Grünbein jedoch nicht flächendeckend ab: Alsliterarisches Gebilde von Klugheit und formaler Eleganz erleidet sein«Porzellan»-Service keinen Sprung.

Durs Grünbein: Porzellan. Poem vom Untergang meiner Stadt.Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/Main72 Seiten, Euro 14,80