MZ-Serie «Ausblicke» MZ-Serie «Ausblicke»: Von Bernburg via Berlin zum Bosporus
Berlin/MZ. - Deswegen wirken Cristin Claas und Christoph Reuter an diesem Morgen wohl auch hellwach und müde zugleich - weshalb der Treffpunkt im Café "Sowohl als auch" am Kollwitzplatz passend scheint. Erst am Abend zuvor haben sie im Berliner Quasimodo sogar die Talentsucher einer großen Plattenfirma überzeugt - aber sie erzählen lieber von den Konzerten an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien.
So weit sind sie inzwischen gekommen, die Sängerin aus Bernburg und der Pianist aus Dessau - und eine Grenze scheint nicht in Sicht. Seitdem der musikalische Wunderknabe Reuter in einem kleinen Studio die Stimme des Mädchens hörte, das damals noch Kristin Wieduwilt hieß, sind zwar schon acht Jahre vergangen. Doch dass aus dem damaligen "Pflänzchen" eine so charismatische Frau werden würde, scheint auch Cristin Claas noch immer zu überraschen. Dass sie sich zwischen den vielen Auftritten mit ihrer Acoustic Band und mit L'Arc Six noch immer zum Studium an der Leipziger Musikhochschule einfindet, hängt jedenfalls vor allem mit dem altmodischen Wunsch nach akademischem Abschluss zusammen. Und damit, dass "Studenten fleißiger üben".
Dass sie sich ihr Konzert-Diplom längst jenseits der Hochschul-Säle ersungen hat, beweist ab sofort auch ihre dritte CD "In the Shadow of your Words". Gemeinsam mit Christoph Reuter und mit dem Gitarristen Stephan Bormann hat sie hier jene raffinierte Mischung aus Kammerpop und Jazz perfektioniert, die bereits auf den Vorgänger-Alben "Twilight" und "Favour" zu hören war. Das sind keine Fertiggerichte, sondern perfekt balancierte Gaumenkitzler für trainierte Geschmacksnerven: Heiß und kalt, scharf und süß, naiv und sexy.
Mittendrin und vornedran aber behauptet sich stets diese Stimme, die auf dem deutschen Pop-Markt ihresgleichen sucht. Cristin Claas kann dunkel und verhangen wie eine Wolkenwand klingen, aus der urplötzlich das Sonnenlicht gleißt. Und sie hat sich Kinderlieder wie "Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal" mit der gleichen Selbstverständlichkeit bewahrt, mit der sie eigene Texte in Englisch oder in einem rätselhaften Phantasie-Idiom erfindet. Das ist eher claasisch als klassisch - also unverwechselbar.
"Ich genieße den Luxus, mich nur den Herzenssachen zu widmen", sagt sie. Und tatsächlich ist sie ihren Bands treu, während Christoph Reuter zusätzlich mit dem Elektrojazz-Trio Yesolar sowie mit Rabbits in the Moon unterwegs ist. Zudem komponiert er Schauspielmusik und begleitet den Kabarettisten Eckart von Hirschhausen, auch Stephan Bormann hat mehrere Eisen im Feuer ... lauter kreative Einflüsse, die den Cristin-Claas-Kosmos permanent erweitern.
Die dauerhafteste Bindung aber pflegt das Trio noch immer zu L'Arc Six - jener Band also, mit der Cristin Claas beim Kurt-Weill-Fest auf Nils Landgren traf oder mit der Anhaltischen Philharmonie im Umweltbundesamt musizierte. Dass es sie immer wieder in ihre Heimat zieht, liegt auch an dieser selbst gewählten "Familie", mit der sie jedes neue Jahr im Wörlitzer Park beginnt. Diesmal war die Wanderung um den See das letzte Atemholen vor dem Aufbruch zum Bosporus, wo sich die eindringliche Stimme Gehör im Hexenkessel verschaffte.
Es muss ein großes Glück sein, mit dem Cristin Claas auch Lieder über kleine Katastrophen grundiert. Sie teilt es freigiebig aus, wenn sie singt - und Christoph Reuters Lachen ist sowieso unentrinnbar. Das macht eine Musik, in der man leben kann - egal, wo man sie spielt.