MZ im Gespräch mit Sönke Wortmann MZ im Gespräch mit Sönke Wortmann: «Mehr Tore als beim Reiten»
Halle/MZ. - Herr Wortmann, warum haben Sie "Das Wunder von Bern" nach 50 Jahren ins Kino gebracht?
Wortmann: Da kommt vieles zusammen: die Heldengeschichte, die Faszination des Fußballs. Aber über das sportliche Ereignis hinaus hat das Wunder von Bern zumindest für die Westdeutschen eine große Bedeutung gehabt nach dem Krieg, als alles am Boden lag.
Auch moralisch war dieser Fußball-Sieg der erste Anlass zur Freude, man konnte wieder auf Leistungen von Deutschen stolz sein. Das hat den Leuten damals neuen Lebensmut gegeben.
Brauchen wir heute wieder Idole wie damals Helmut Rahn, Fritz Walter, Sepp Herberger, um einen Aufschwung auszulösen? Sehen Sie da Parallelen?
Wortmann: Die Situationen sind nicht vergleichbar. Damals gab es kaum Arbeit, keine Alternativen oder Freizeit-Beschäftigungen. Heute gibt es zig Fernsehprogramme, Kinos, ganz viele andere Sportarten zur Zerstreuung. Fußball spielt zwar noch die führende Rolle in unserem Freizeitpark, aber nicht mehr die existenzielle wie damals. Und heute rechnet man ja fast damit, dass wir mindestens Vizeweltmeister werden. Damals war es eine Sensation, vergleichbar mit der Überraschung, würde bei der WM 2006 Senegal Weltmeister.
Warum fasziniert Fußball so viele Menschen?
Wortmann: Es gibt eine Menge philosophische Abhandlungen darüber; über Bälle, dass sie rund sind, keinen Anfang und kein Ende haben. Das Gleiche gilt selbstverständlich für Hand- und Basketbälle, aber vielleicht gibt's beim Fußball die richtige Mischung - es fallen weniger Tore als beim Basketball und mehr als beim Dressurreiten. Ich weiß es nicht.
Sie haben - ein geschickter Schachzug - der Frau des WM-Reporters eine große Rolle eingeräumt. Im Hinblick auf die Zuschauerinnen?
Wortmann: Meine Sympathie ist ganz auf Seiten der Frau, die mit ihrer weiblichen Intuition wesentlich eher Dinge begreift als ihr Mann, der Sportjournalist. Auch wollte ich eine Figur einführen, die - stellvertretend für alle nicht so Fußballinteressierten - Fragen stellen kann wie "Wer spielt denn hier eigentlich gegen wen und warum?". Und außerdem kann ich mit dieser Figur und der ihres Mannes ein bisschen Komik in den Film bringen; man kann mal durchatmen, bevor es wieder ernst wird.
Wann kam Ihnen die Idee, die Fußball- mit einer Familiengeschichte zu verbinden?
Wortmann: Mir war relativ früh klar, dass Fußball allein nicht reicht. Ich brauchte eine private Ebene, an der man ablesen kann, wie sich die Stimmung langsam ändert in Deutschland. So lasse ich die Handlung dort spielen, wo ich mich auskenne. Im Ruhrgebiet, im Arbeitermilieu. Die Figur des Jungen war mir auch schnell klar, weil ich das Ganze aus kindlicher Sicht schildern wollte. Dass ich für die Vater-Sohn-Geschichte dann tatsächlich Vater und Sohn besetzen konnte, nämlich Peter Lohmeyer und seinen Sohn Louis, war für mich ein wahrer Glücksfall.
Angenehm fällt auch Johanna Gastdorf als Christa Lubanski auf, sie spielt zurückhaltend eine starke Frau. Eine Schauspielerin, die man bislang kaum im Kino gesehen hat.
Wortmann: Frau Gastdorf kenne ich seit vielen Jahren vom Theater - Hannover, München, zur Zeit Bochum, mir gefällt ihre zurückhaltende Präsenz. Bei dem Film war mir wichtig, Schauspieler zu besetzen, deren Gesichter man noch nicht so genau kennt, damit die Zeit authentisch wird.
Interessant ist die Kamera: die Sicht auf das Spiel; die Atmosphäre im Stadion, so prickelnd, als wäre man selbst dort.
Wortmann: Wenn ich einen Film über ein solches Ereignis mache, muss ich aufregende Bilder liefern, die Atmosphäre muss trotz des bekannten Ergebnisses dem Zuschauer noch einmal einen Schauer über den Rücken jagen.
Was antworten Sie denen, die Ihnen in der einen oder anderen Szene Kitsch vorwerfen?
Wortmann: Pathos ist vielleicht das passendere Wort. Bei einem so großen Thema kommt man an Pathos gar nicht vorbei. Das erwarte ich auch, wenn ich ins Kino gehe. Kino ist ja ein bissel größer als unser tägliches Leben. Und Märchen gehören einfach dahin.