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MZ im Gespräch mit Jakob Hein MZ im Gespräch mit Jakob Hein: «Wir haben viel gelacht»

14.05.2002, 15:41

Berlin/MZ. - Prenzlauer Berg imMai: luftiges Grün, lächelnde Fassaden, einBilderbuchstädtchen im Osten Berlins. In einerDachwohnung lebt Jakob Hein mit seiner Frau.Der 30-Jährige kocht Tee, das Vormittagslichtzwinkert über Sofa, Sessel und Klavier. MitHein, der am Donnerstag morgen in Halle liest, sprach unserRedakteur Christian Eger.

Herr Hein, bereits mit 16 war Ihnen klar,dass Sie in der DDR nicht 30 werden.

Hein: Das war ein Eindruck, kein politischerEntschluss.

Wie kam es dazu?

Hein: Ich habe mir meinen und denFreundeskreis meiner Eltern angeguckt undgesehen, dass die Leute, die etwas machten,was mich interessieren könnte, irgendwannalle gegangen sind. Da war mir klar: He, duwirst hier auch nicht alt.

Wollten Sie abhauen?

Hein: Nein. Mehr so lange für michweitermachen, bis ich rausgeschmissen werde.So, dachte ich, würde das funktionieren.

Jetzt sind Sie 30 und leben noch immeram gleichen Ort...

Hein: Ich komme aus Berlin-Weißensee,nicht Prenzlauer Berg.

... und sind ein DDR-Schriftsteller.

Hein: Oh Gott! Also das geht jetztstark in Richtung Beleidigung.

Dann sind Sie eben der letzte DDR-Schriftsteller.

Hein: Nein, auch das möchte ich echtnicht sein.

Aber Sie schreiben doch nur über sichselbst und die Spät-DDR.

Hein: Aber nur in "Mein erstes T-Shirt"und ich bin froh, dass es im Osten und imWesten gleich gut läuft. Ich hätte sehr daruntergelitten, ein Ostbuch zu schreiben.

Warum?

Hein: Ich habe mehr als drei Jahreim Ausland gelebt. Wenn ich aus irgendwelchenGründen im Prenzlauer Berg nicht mehr wohnendürfte, wäre meine nächste Wahl eher Bostonals Hannover, aber auch eher Leipzig als München.

Was ärgert Sie am Etikett DDR-Schriftsteller?

Hein: Es wäre so schrecklich. Manist 30, fängt gerade an und soll schon Schriftstellereines untergegangenen Landes sein.

Nun ist ja der Osten im Osten als Reizthemamausetot. Die Ostalgie-Welle ist verebbt,Christa Wolf versöhnt, Sachsen-Anhalt hateine bürgerliche Regierung. Plötzlich entdeckendie Westler den Osten. Was ist geschehen?

Hein: Bislang hat der Westen den Osten,wenn überhaupt, nur klischeehaft wahrgenommen.Das ist vorbei. Es hat sich bis in die letztenWinkel herumgesprochen, dass es lohnt, hierherzu gucken und dass es da etwas zu entdeckengibt.

Und die um 1970 geborenen Ostler wie Siebeginnen Erinnerungen zu schreiben. Warumjetzt?

Hein: Nur für mich gilt: Ich kannDinge genauer beobachten, wenn ich nicht unmittelbardrin stehe.

Geht es auch darum, das Erzählen der eigenenGeschichte in die eigene Hand zu nehmen, dieDeutungshoheit zurückzugewinnen?

Hein: Ich schreibe meine Bücher nurfür mich. Ich habe überhaupt keine Lust, fürjemand anderen zu sprechen. Und insofern würdeich mich niemals hinsetzen und sagen: So jetztnehme ich mal die Deutungshoheit wieder indie Hand.

Um Deutungshoheiten geht es dort, wo umdie vorderen Medien-Plätze gekämpft wird.

Hein: Das ist es ja, warum mir diejournalistische Arbeit viel schwerer fälltals die schriftstellerische. Im Journalismushat man einen klaren Auftrag. Dabei ist esfür mich viel interessanter, den Bericht einesAnthropologen zu lesen, der mal tatsächlichauf Tahiti war, als den Artikel eines Menschen,der sich nur aus Sekundärquellen ein Bildvon Tahiti macht.(...)
Der Text wurde gekürzt. Die vollständige Fassung lesen Sie in der Druckausgabe der MZ vom 15.Mai 2002.