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Neue Klangwelten Konstantin Wecker: Liedermacher-Legende in „Utopia“

Auf seinem neuen Album bedient sich Konstantin Wecker verschiedenster musikalischer Stilmittel. In der Aussage bleibt sich die bayerische Liedermacher-Ikone aber treu.

Von Gunther Matejka, dpa 22.06.2021, 11:34
Konstantin Wecker hat die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgegeben.
Konstantin Wecker hat die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgegeben. Peter Kneffel/dpa

München - Hinter Konstantin Wecker liegt bereits ein enorm ertragreiches Künstler-Leben: Zwei Dutzend Studioalben hat der Münchner in fünf Jahrzehnten herausgebracht.

Hinzu kommen 40 Filmmusik-Beiträge (darunter „Kir Royal“ und „Schtonk!“), etwa 30 Buchveröffentlichungen, 40 Musical-Kompositionen, über 50 Film- und Fernsehproduktionen als Schauspieler. Mit seiner neuen Platte aber richtet er den Blick nach vorn, auf die Vision einer besseren Zukunft - sie heißt „Utopia“.

Es ist ein Album, das in 17 Titeln eine große musikalische Bandbreite, klare inhaltliche Aussagen und typische Wecker-Lyrik bietet. Mit knapp dreiminütiger Prosa steigt er ein: „Prolog: Faust“. Hinter der Goethe-Anspielung steckt aber kein Auszug aus dem Meisterwerk des Dichterfürsten, sondern eine fast schonungslose Abrechnung von Konstantin Wecker mit - sich selbst.

„Ursprünglich wollte ich dieses Gedicht vertonen“, verrät der Musiker im Telefonat mit der Deutschen Presse-Agentur. „Was ich auch gemacht habe. Aber dann habe ich gemerkt, dass es gesprochen einfach besser wirkt. Also habe ich die Musik weggelassen.“

Keine Kompromisse

Typisch Wecker. Der Inhalt ist dem kürzlich 74 Jahre alt gewordenen Künstler im Zweifel wichtiger als die Form. Zum anderen kennt der Mann keine Kompromisse. Hop oder top - irgendetwas dazwischen kommt für ihn nicht in Frage. Das sei auch schon früher so gewesen, sagt Wecker. Zu Zeiten, als er bei großen Schallplattenfirmen unter Vertrag stand und ihm Plattenbosse in sein künstlerisches Schaffen reinreden wollten. „Ich habe dann gesagt: Gut, dann mache ich eben keine neue Schallplatte.“ Letztlich habe er seinen Willen immer bekommen.

An Durchsetzungsvermögen hat es Wecker in seiner langen Karriere ohnehin nie gefehlt. Genauso wenig an politischer Überzeugung - die er natürlich auch auf „Utopia“ artikuliert. Beispielsweise in dem mit düsteren Rock-Klängen ausgestatteten Titel „Schäm dich Europa“, in dem Wecker die Flüchtlingskrise und den neu auflodernden Nationalismus anprangert. Oder in dem in seiner Aussage und Stimmung an John Lennons „Imagine“ erinnernden, in bester Liedermacher-Tradition vorgetragenen Titelstück.

Herrschaftsfreies Zusammenleben

„Utopia“ - eine Welt ohne Herrscher, ohne Gewalt und ohne Krieg. Eine Wunsch-Vision? „Ich habe mich zuletzt intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Indigene Kulturen und viele nomadische Völker haben diese Form herrschaftsfreien Zusammenlebens, die wir Utopie nennen, verwirklicht.“ Ohnehin seien Utopien wichtig für das Seelenheil der Menschen, vielleicht sogar die „letzte Hoffnung“.

Stilistisch zeigt sich Wecker auf dem Album wendig. Bei „Was einem der Regen raunend erzählt“ reicht ihm ein Klavier als Begleitung. In „Anstatt zu siegen“ schlägt er sphärische World-Music-Töne an. Beim fröhlichen Reggae „Wie lieb ich es, den Tieren zuzusehen“ geht es, angetrieben von Schlagzeuger Thomas Simmerl, rhythmisch ab. Und in Titeln wie „Das wird eine schöne Zeit“ sorgen Musiker der Münchner Staatsoper für klassische Klang-Ästhetik.

Deutlich wird Wecker im jazzigen, mit Marsch-Rhythmus unterlegten „Es gibt kein Recht auf Gehorsam“. Eine Losung, die Querdenker möglicherweise bei Demos aufnehmen werden - es aber lieber bleiben lassen sollten: „Da würde ich sofort einen Anwalt einschalten“, sagt Wecker und fügt hinzu, dass das nicht das erste Mal wäre. „Im Frühjahr wurde auf Querdenker-Demos meine Version von 'Die Gedanken sind frei' gespielt, auch da ging ich sofort anwaltlich dazwischen.“

Obwohl Wecker grundsätzlich Sympathie für die Idee weniger linearen Denkens hegt, lässt er gegenüber dieser Initiative keine Zweifel aufkommen: „Bei einer Demo, die nach Rechtsaußen offen ist, wie es die Identitären mal so stolz gesagt haben, bin ich ganz sicher nicht dabei. Auch nicht eines meiner Lieder.“

Ein weiteres Thema von „Utopia“ ist Weckers Auseinandersetzung mit sich selbst - auch mit dem Älterwerden. In Titeln wie „An die Musen“, „Bin ich endlich angekommen“, „Was uns am Leben hält“ und „Die Tage grau“ gewährt er einen intimen Blick in die Seele des umtriebigen Künstlers.

„Willy“ in neuer Version

Untrennbar mit der Karriere des bayerischen Kreativ-Kraftwerks ist die Ballade „Willy“ verbunden. Den 1977 veröffentlichten Klassiker der politischen Liedermacher-Literatur präsentiert Wecker auf „Utopia“ in neuer Version.

„Einer der im letzten Jahr in Hanau Ermordeten hieß so, wenngleich auch anders geschrieben“, sagt er im dpa-Gespräch. „An ihn und die anderen Opfer dieses rechtsextremistischen Terrorakts wollte ich erinnern - vor allem, da wir in einer Zeit leben, in der sich der Faschismus erneut aus diesen unsäglichen Mythen und Verschwörungsideologien erheben könnte.“ Dagegen singt Wecker kraftvoll an. Und das seit nunmehr gut 50 Jahren.