1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Musik: Musik: Das «freie Herz» Argentiniens

Musik Musik: Das «freie Herz» Argentiniens

Von Jan-Uwe Ronneburger 06.09.2005, 08:42
Die argentinische Folk-Sängerin Mercedes Sosa, die große alte Dame der lateinamerikanischen Folklore, hat soeben ihr erstes Album für die Deutsche Grammophon aufgenommen. (Foto: dpa)
Die argentinische Folk-Sängerin Mercedes Sosa, die große alte Dame der lateinamerikanischen Folklore, hat soeben ihr erstes Album für die Deutsche Grammophon aufgenommen. (Foto: dpa) deutsche grammophon/Eduardo Torres

Buenos Aires/dpa. - Einmal sei sie an ihrem Geburtstag gerade in Deutschland gewesen, und die Menschen hätten sie mit Massen von Torten und Kuchen überhäuft. «Ich musste leider ganz viel verschenken, weil ich am nächsten Tag weiterreisen musste», lacht sie. «Corazón libre» mit 16 vor allem lyrischen Folklorestücken aus ihrer Heimat kommt Anfang September in Deutschland in den Handel.

Distanz zu ihrem europäischen Publikum hat Sosa, die 1965 ihreerste Platte herausbrachte, nie empfunden. «Als Sängerin bietet man dem Publikum sein Herz an, und die nehmen das an oder auch nicht. In Deutschland, Italien, Griechenland oder den Niederlanden haben sie mich immer angenommen», sagt die weitgereiste Sängerin.

Sie sitzt auf einem grünem Sofa in ihrer grosszügigen, aberabgedunkelten Wohnung an der Prachtstrasse von Buenos Aires, der 9. de Julio. Moderne Kunst und alte Indioteppiche sind in dezentes Licht gehüllt, und dennoch trägt die zerbrechlich wirkende Künsterlin eine Sonnebrille. «Das Publikum in Deutschland ist warmherziger als anderswo», sagt Sosa, die mit Joan Baez, Konstantin Wecker und vielen anderen internationalen Stars gesungen hat.

Die Franzosen seien zwar sehr aufmerksam, aber nicht so einfühlsam wie die Deutschen. «Einmal kam ich aus Deutschland nach Paris und vermisste das deutsche Publikum sehr», erinnert sie sich. «Die Deutschen empfinden einfach eine tiefe Liebe für Künstler.» Oft hätten ihre Begleiter aus Argentinien bei Tourneen durch Deutschland gesagt: «Wenn ich die Begeisterung hier nicht gesehen hätte, würde ich es nicht glauben.» Leider könne sie zurzeit wegen ihrer Gesundheit nicht nach Deutschland.

Sie erhole sich nur langsam von einer Herzschwäche und sei dreimal im Bad gestürzt. Dabei verletzte sie sich an der Wirbelsäule und muss nun ein Korsett tragen. «Neulich wollte ich einen hohen Ton singen und spürte einen stechenden Schmerz im Rücken», erzählt sie. Sie müsse nun sogar mit dem Korsett singen und Gesangsunterricht nehmen. Zum Glück sei die Stimme aber «perfekt». Und die Freude am Singen sei jedes Opfer wert.

Mit einer gewissen Wehmut erinnert sich Sosa auch an ihre Konzerte in der DDR. Zum Ende der DDR habe sie einen NVA-Soldaten gesehen, der unter Tränen die Flagge seines Staates einholte. «Das hat mich sehr gerührt», sagt die Kommunistin, die sich zugleich als gläubige Katholikin bezeichnet. Es sei aber auch sehr traurig gewesen, dass die Menschen nicht reisen durften. «Man gewinnt etwas, und man verliert etwas», meint sie. «Ich habe nie einen Vertrag mit den Kommunisten unterschrieben. Kommunistin ist man im Kopf, auch ohne Partei, so wie man auch ohne Kirche Christin sein kann.»

Mit grosser Sorge beobachtet Sosa den Klimawandel und dieErwärmung der Atmosphäre. «Wir haben das alles kommen sehen,Katastrophen wie den Hurrikan "Katrina", Überschwemmungen in China oder Dürren in Afrika. Aber wie soll man denn Arbeiter derAutoindustrie davon abhalten, Autos zu bauen, welche anderenArbeitsplätze gibt es denn», fragt sie. «Mich deprimiert das sehr.» Kraft bezieht Mercedes Sosa aus ihrer Arbeit, ihrer Kunst. «Es hat sich gelohnt, für "Corazón libre" wieder gesund zu werden», sagt sie. «Diese CD ist die Arbeit einer Überlebenden».