Museen Museen: Glanz und Gloria gibt es satt

Dresden/dpa. - Eine rote Kordelversperrt den Weg ins Allerheiligste der Staatlichen Kunstsammlungen:das Historische Grüne Gewölbe. Hinter einer schweren Eisentür, imHalbdunkel des Vorgewölbes stehen etwa 20 Vitrinen mit Kunstwerkendes Mittelalters und der Renaissance. Direktor Dirk Syndram und seineMitarbeiter sind im Endspurt - bei der Wiedereinrichtung des seit1945 verlorenen barocken königlichen Schatzkammermuseums.
Nach ersten Sicherungsmaßnahmen kurz nach Kriegsende waren die1723 bis 1729 umgebauten Räume der «Geheimen Verwahrung» mehr alssechs Jahrzehnte verwaist. Die rund 4000 Stücke umfassende Sammlungblieb bis auf wenige zwischenzeitlich präsentierte Pretiosen im Depotverborgen. Parallel zum 1985 begonnenen Schloss-Wiederaufbau wurdevon 1992 an die Wiederkehr der einstigen Pracht des Grünen Gewölbesgeplant. Die Rekonstruktion der drei zerstörten und fünf erhaltenenRäume mit teils originaler Innenausstattung dauerte vier Jahre.
Eröffnet wird die alte neue Schatzkammer am 1. September, fürPublikum ist sie vom 15. September an zugänglich. Fast ein Jahrzehnthaben Restauratoren alle rund 4000 Stücke geprüft, repariert undpoliert. Die ersten 1071 zogen seit September 2004 im modernen Teil,dem Neuen Grünen Gewölbe, im 1. Obergeschoss schon fast 1,1 MillionenBesucher an. Der Freistaat lässt sich die geteilte Präsentation desberühmten Schatzkammermuseums rund 45 Millionen Euro kosten.
Steinschnittarbeiten, Objekte aus Silber, Elfenbein, Perlmutterund fast die gesamte Sammlung an Emailwerken aus Limoges stimmen aufeine bevorstehende ungewöhnliche Zeitreise ein. In einer Vitrinefunkelt die goldene Trinkschale Iwans des Schrecklichen. Die mehr alsein Kilogramm schwere, dickwandige Koffsch aus Polozker Gold gilt alserstrangiges Werk europäischer Juwelierkunst und war ein Geschenk vonZar Peter dem Großen. «Im Boden des mit tiefdunkelblauen Saphirenbestückten Gefäßes zeigt sich der schwarze kaiserliche Doppeladler»,erklärt Syndram. Um den Lippenrand eingraviert ist mit kyrillischenBuchstaben der Titel des mächtigen Herrschers.
Der Weg in die barocke Schatzkammer führt wie schon vor 300 Jahrendurch die «Passage», in der nun Fotos des «Grünen Gewölbes» von 1890bis 1930 hängen. «Wir haben nicht den Vorkriegszustandwiederhergestellt, sondern uns an die Konzeption von 1733angenähert», sagt Syndram und öffnet die Eingangsschleuse. Sie dientdem Luftaustausch und der Sicherheit. Erst 20 Sekunden nach Schließender Hinter- öffnet sich die Vordertür. «Die Schleuse trennt nicht nurzwei Museumswelten, sondern markiert auch den Beginn eineremotionalen Zeitreise.»
Die Instruktion hatte Sammlungsgründer August der Starke (1670-1733) kurz vor seinem Tod noch ausgegeben: nicht zu viele Gäste aufeinmal und nur mit Führung. 300 Jahre später wird der Zugang zumältesten in ursprünglicher Form erlebbaren Museum Europas getaktetund auf 100 Besucher pro Stunde limitiert. Das Bernsteinzimmer isteiner von zwei neuen Räumen, die den Übergang zur ungewohntenbarocken Pracht erleichtern sollen. Ob der Lichtempfindlichkeit desfossilen Harzes liegt es im geheimnisvollen Halbdunkel, eiserneAußenfensterladen schützen vor Sonne. Aus großen Wandvitrinen strahlthoniggelb das «Gold der Ostsee». Glanzstück der Sammlung ist eingroße Bernsteinschrank, 1728 ein Geschenk von Preußens SoldatenkönigFriedrich Wilhelm I.
Kämme, Döschen, Armbänder und Schälchen scheinen zum Greifen nah -trotz Vitrinenglas. Unschwer vorstellbar, wie eine Mätresse sichdavor das Haar kämmt und den Schmuck anlegen lässt. «Benutzt wurdenichts von dem, was hier steht, das war immer nur ein Schaustück»,zerstört Syndram den Traum. Die umfangreiche Sammlung ist ringsum inVitrinen mit Unterbau aus «sächsischem Marmor» arrangiert. DasHoniggelb, -rot und -braun der geschnitzten Figuren und Utensilien,Waffen- und Besteckgriffe harmoniert mit dem grünen Serpentin derTische. «Hier begegnen sich preußischer und sächsischer Edelstein.»
Hinter einer goldverzierten Eisentür beginnt dann die «dramatischeInszenierung» der einzigartigen Schatzkammer, an der der Monarch zuLebzeiten ausgewählte Gäste teilhaben ließ. Er selbst hatte die sichvon Raum zu Raum steigernde Pracht ersonnen: vom Elfenbein über daspure und vergoldete Silber bis zum mit Gegenständen und Kuriositätenfast überfüllten Pretiosensaal und, mit einer optischen Pause, daskrönende Juwelenzimmer. Bei der Rekonstruktion dieser acht teilszerstörten historischen Räume haben sich Planer und Museumsmacher derFassung im Todesjahr des legendären Sachsen-Kurfürsten und Polen-Königs 1733 angenähert, sagt Syndram.
«Durch Inventare, die damals angelegt wurden, wissen wir genau,wie es aussah.» Es sei keine freie Interpretation, sondern weitgehendorientiert am Ausgangsbild. «Die königliche Sammlung war um vielesstärker gefüllt, dafür jetzt besser zu sehen.» Einige Konsolen aberbleiben frei. «Wir wollen nicht Überfluss, aber Luxus darstellen, unddas schaffen wir mit Reduktion.» Wie im «Tresor» stehen die Exponatefrei - bis auf wenige Ausnahmen unter schützendem Glas. Schon imElfenbeinzimmer, dem ersten historischen Raum, trennen nur ein paarZentimeter den Betrachter von filigran gedrechselten Pokalen undKuriositäten aus dem champagnerfarbenen Naturmaterial.
Restauratorin Sabine Schwab hebt jedes Stück vorsichtig aufKonsolen, markiert die Umrisse mit Bleistift und setzt es behutsamwieder auf Papier am Boden. «Sie müssen fixiert werden, damit siespäter nicht durch Erschütterungen herunterfallen», sagt sie. EineHeidenarbeit bei 300 geschnitzten oder gedrechselten Pokalen,Schalen, Skulpturen, Reliefs und filigranen Gebilden. Zur Befestigungaller Exponate wurden Module entwickelt: vergoldete, mit Plastiküberzogene Haken und Elemente.
Im Weißsilberzimmer künden drei Skulpturen und erworbene Stückevor einer zinnoberroter Wandpaneele vom Glanz des einst mit 370Objekten gefüllten Raumes. «1772 wurde unvergoldetes Tafelsilbertonnenweise wegen Krieg und Mode eingeschmolzen», erzählt Syndram.Darunter hunderte Kilo schwere Silbervasen, eine Coffee-Maschine undGießgarnituren. Dresden habe damals das weiße und etwa 60 Prozent vomvergoldeten Silber verloren. Die verwaisten Konsolen wurden mitKunstwerken aus Schneckengehäusen, Nautilusschalen und Straußeneiernan der Perlmutterwand oder sechs Serpentin-Drechseleien, einst extrafür das Museum angefertigt, gefüllt. Die bauchigen Gefäße sind inForm und Umfang unterschiedlich. «Es ist wie eine Bach'sche Etüde vomEnde des 16. Jahrhunderts.»
Im Silbervergoldeten Zimmer nebenan sind die grünen Schauwände mitden erhaltenen und hinzugekommenen Arbeiten aus vergoldetem Silber -Gießgarnituren des Barock sowie Trinkgefäße und figürliche Arbeitendes 16. und 17. Jahrhunderts - bestückt. Am mittleren Wandpfeilerzwischen den Fenstern stehen Goldrubingläser und -flaschen auf denKonsolen, am Boden große silbervergoldete Weinkühler, die um 1700 zujeder fürstlichen Prunktafel gehörten. Der Silberschatz diente nebender Repräsentation auch als Staatsreserve, die in Notzeiten vermünztwerden konnte, erklärt Syndram. «Die Geschichte des Museums hatLücken geschlagen - das ist Teil der Schau. Einige Konsolen bleibenleer, bis wir Geld haben, um aus dem Kunsthandel Stücke zu kaufen,die hierher passen.»
Das Grüne Gewölbe war wichtiges Pfund im Kampf der Wettiner um diepolnische Krone. «Es repräsentiert Reichtum, Macht und Kunstsinn,jeder sollte sehen, wie gut das Konto des Kurfürsten ausgestattetwar.» Punkten konnte August vor allem mit dem Pretiosensaal, der sichin einstiger Pracht präsentiert. Der verspiegelte, 212 Quadratmetergroße Raum versprüht ein Feuerwerk von Glanz und Gloria. Die rund 400Konsolen an mit vergoldetem Schnitzwerk verzierten Wänden borden übervor Schalen, Gefäßen und Kuriosa aus Edelsteinen, Gold, Bleikristall,Nautilusschalen und Straußeneiern. Ihr Glitzern und Strahlen blendetdank der Spiegel auch an den Pfeilern des Renaissancegewölbes dieAugen. «Hier ist es wie bei Ali Baba zu Hause», sagt Syndram.
Der Pretiosensaal ist der Ursprung des Grünen Gewölbes, dem dieVerfärbungen einzelner Bauteile den Namen gaben. Reste befinden sichnoch an den verkleideten Kapitellen der Pfeiler. Das 14 Quadratmeterkleine Eckkabinett, in dem einst 478 Objekte untergebracht waren, istnicht mehr zugänglich. «Man kann nur durch das alte Gitter schauen.»170 kleinformatige Kunstwerke auf 102 Konsolen erlaubten aber eineVorstellung der ursprünglichen Präsentation.
Als Syndram vier Döschen auf einer unteren Konsole verschiebt,erschallt ein greller Piep-Ton. «Funktioniert», stellt er fest. Ein1,20 Meter hoher und ebenso weit von den Wänden entfernter Handlaufsoll von ähnlichen Experimenten abhalten.
Das Wappenzimmer, das schon beim Kurfürsten als theatralischeZäsur gedacht war, ist erholsam für die Augen. Hier lassen Wappen-und Initialschilde an den Türen der Wandschränke dieKriegszerstörungen erkennen. «Am 13./14. Februar 1945 war der großeSchloßhof wie ein Kamin, die eisernen Fensterladen brachen aus denGewänden, das Feuer schlug hinein, das hölzerne Zimmer verbrannteebenso wie Juwelen- und Bronzenzimmer.» In zwei Vitrinen zeugenFotos, verkohltes Holz und Nägel sowie Brandreste am Boden davon.
Keine Spur des Infernos ist im prachtvollsten Raum zu sehen: demJuwelenzimmer. Die Inszenierung der kostbaren Pretiosen wird durchWandverkleidungen mit hinterseitig bemalten Spiegeln gesteigert. DieRestauratoren haben die nicht verspiegelten Flächen mit Gold belegt,nach historischem Vorbild durch Kratztechnik mit Motiven versehen undrot oder blau hinterlegt. Wandvertäfelungen, Spiegel, Kapitelle,Türbekrönungen mit Kurhut und Fürstenkrone, Pilaster und Gespränge,Marmorfußboden und -türgewände wurden nach historischen Quellenrekonstruiert.
Brillant-, Diamantrosenschliff-, Rubin-, Smaragd- und Saphir-,Achat-, Karneol- und Schildpatt- sowie Topasgarnitur und die «Juwelender Königin» werden in vier Wandvitrinen gelegt. «Drei Meter nurDiamanten und Brillanten auf tiefdunkelblauer indischer Rohseide»,schwärmt Syndram. Gerade wird das Glas geputzt, das die auf Tischenstehenden Meisterwerke von Hofjuwelier Johann Melchior Dinglingerschützt: Mohren mit Smaragd- und Landsteinstufe, ObeliscusAugustalis, Prunkschale mit dem ruhenden «Hercules Saxonicus» undKaiser-Kameo huldigen dem sammelfreudigen Monarchen der Barockzeit.Statt eines üblichen «Kronschatzes» funkelt hier auch der mit 548Karat größte blaue Saphir der Welt - ein Geschenk des russischenZaren Peter I. von 1699.
Während Restauratoren und Handwerker letzte Hand anlegen, schauenTouristen neugierig von außen durch die Fenster. Vor dem Westflügelist eine Art Gangway aufgebaut, erste Einblicke sind gewollt. «DieLeute werden fertig sein, denn der Rundgang ist eine sinnlicheHerausforderung, selbst in unserer Zeit», mutmaßt der Direktor. Durchdie beiden Schleusen am Eingang tauche der Besucher in eine ganzvergangene Welt ein und aus. Schopenhauer beschrieb sie als«Feenreich», das man aus Erzählungen kennt mit Reichtum, Schönheitund Fülle. «Das Grüne Gewölbe ist ein kulturelles Wunder und soeinzigartig wie das Grab des Tutenchamun.»
Zugleich präsentiert das Grüne Gewölbe faszinierende Einzelstückefast hautnah und überquellenden Reichtum als Gesamtkunstwerk. Damitist das einzigartige Schatzkammermuseum komplett. Und dann wirdSyndram poetisch: «Das Grüne Gewölbe war im 18. Jahrhundert eineKomposition von August dem Starken, nun ist es eine Inszenierung derZauberflöte in neuem Maß.»