Moritzburg Halle zeigt Schau "Aenigma" Moritzburg Halle zeigt Schau "Aenigma" : Es liegt was in der Luft

halle (Saale) - Eine Ausstellung für Waldorfschüler? Die lernen schließlich schon als ABC-Schützen, wie man „anthroposophisch“ malt, schwerelose Lichtgeister in Farbnebeln von Rosa bis Lila, und wie man die abgeschrägten Ecken und Kanten tischlert, bildhauert und baut, auf dass die kosmischen Kräfte von allen Seiten einwirken. Rudolf Steiner ist seit 90 Jahren tot, aber eine treue Gefolgschaft lebt, denkt und arbeitet im Namen der von ihm begründeten Anthroposophie. Sein Weg zur Erkenntnis der „Menschenweisheit“ führt über Kräfte außerhalb von Leib und Verstand ins Übersinnliche und Spirituelle.
Entsprechend steht die Anthroposophie im Ruch raunender Abgehobenheit, wenn nicht des Spinnerten. Wer sich auf die Ausstellung einlässt, wird den Kitschvorbehalt teils bestätigt, teils aber auch durchkreuzt finden. „Wir stellen die anthroposophische Kunst zur Diskussion“, sagt Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich, „nicht mehr und nicht weniger.“
Er sagt das, nicht ohne anzufügen, dass das Haus Kunst, und nicht Anthroposophie ausstellt. Der Besucher soll sich ein Bild machen, wofür er viel Gelegenheit bekommt. Große Flächen sind für „100 Jahre anthroposophische Kunst“ freigeräumt, wie der Untertitel zu „Aenigma“ heißt. Das lateinische Wort für „Geheimnis“ war der Name der Künstlergruppe, die von 1918 bis 1932 auf „das Neue“ hinwies, „welches Rudolf Steiner für fast alle Lebensgebiete, so auch für die Malerei gegeben hatte“, wie ihr Gründungsmitglied Maria Strakosch-Giesler einst mitteilte.
Ihr Name war mitentscheidend, die Ausstellung nach Halle zu holen. Führt über sie doch ein Weg nach Ostrau, wo der letzte Schlossherr Hans-Hasso von Veltheim sie 1933 gemeinsam mit dem Stuttgarter Architekten und Anthroposophen Felix Kayser mit der Ausgestaltung seiner „Begräbniskapelle“ in der Patronatskirche beauftragte. Ihre strahlend farbigen Fenster bilden mit dem charakteristisch kantigen Altar und den in Lilatönen gedeckten, abgeschrägten Kanten das einzige architektonische „Gesamtkunstwerk“ anthroposophischer Gesinnung in Mitteldeutschland, ein fernes Echo von Steiners Weihestätte „Goetheanum“ im schweizerischen Dornach.
Somit bekommt Ostrau Aufmerksamkeit als Korrespondenzort. Aus dem Veltheim-Nachlass ist sogar der vergoldete Abendmahlskelch gekommen, den der Schlossherr stiftete, und ein privat bereitgestellter Steiner-Band mit Randnotizen des Barons. Von Steiner hat er auf diese Weise alles gelesen, ein kritikloser Gefolgsmann war er dennoch nicht. Veltheim baute sich seinen Glaubenskosmos aus vielen verschiedenen, auch fernöstlichen Lehren zusammen.
Den Anstoß zur Ausstellung gab David Voda, der im Museum der tschechischen Stadt Olmütz auf anthroposophische Künstler aus Zeiten des Eisernen Vorhangs aufmerksam machte. Er nahm Kontakt zu Reinhold Fläth auf, einem der wenigen Wissenschaftler, die sich systematisch mit anthroposophischer Kunst auseinandersetzen. Fläth lehrt an der „Hochschule für Künste im Sozialen“ in Ottersberg Designtheorie und Kunsttherapie, und er ist, wie diese, anthroposophisch orientiert. Ein Katalogvorwort des halleschen Museumsdirektors gibt es nicht, allerdings lag die Auswahl und Präsentation der Werke in der Regie der Moritzburg.
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Das sorgt für ein paar eigene Akzente auf das Plädoyer Fläths für das Hereinholen der anthroposophischen Kunst in den Kanon der Moderne. Fläth kommt hart an die Grenze von Verschwörungstheorien, wenn er ein gegen die anthroposophische Kunst gerichtetes Totschweigen konstatiert. Wenn ihr ein weltanschaulich gebundener Symbolismus vorgehalten wird, so verweist er auf ähnlich rätselhafte Meister christlicher Kunst wie Hieronymus Bosch, die dennoch ihren Platz in der Kunstgeschichte gefunden haben.
Sind die ausgestellten Werke unverstandene Boschs? Jedenfalls ist von der Schwedin Hilma af Klint (eine Steiner- und vor-bauhauszeitliche Kandinsky-Schülerin) ein konzentrisch herzförmiger Farbenkreis zu sehen, der mit einigen anderen ihrer Bilder als „abstrakte Kunst“ vor deren Erfindung gilt, was Kandinsky bekanntlich für sich beanspruchte. Die Schwedin, die verfügte, dass ihre Bilder frühestens 20 Jahre nach ihrem Tod (1944) ausgestellt werden dürfen, verstand ihre Abstraktionen zwar als symbolhaft, doch das tat Kandinsky auch.
Dass anthroposophische Geister mit solchen Bildern etwas aufgriffen, das in der Luft lag, ist auf einem verschlungenen Farbenwirbel von Adelheid Petersen eigenhändig vermerkt: „Ich fühlte eine beglückende Verheißung. Aus den drei schwarzen Kreisen redete es.“
Eigentlich „redet es“ permanent aus anthroposophischen Bildern. Das ist sozusagen systemimmanent, da die Malerei angeblich Kontakt zu den Weltengeistern herstellt. Steiners von Goethe inspirierte Farbenlehre ist ein Weg dazu, didaktisch aufgeschlüsselt zum Beispiel von Beppe Assenza, nach dem Krieg Kunstlehrer in Dornach: Er beschriftet eine Farbskala mit Deutungen, von Rosenrot („Farbe der Liebe“) über Rot-Violett („Gottes Andacht“) zu „Pfirsichblüte“ („Geist erfasst Leib und Seele“). Symbolistische Versenkung in Farbwirkungen zeitigt manch rauschhafte Intensität, wie bei der Glasmalerei des Schweden Lennart Lundström. Dass auf anthroposophischer Grundlage wiederum eine moderne Handschrift entstehen kann, wird bei Walter Bestehers Geometrien deutlich. Entdeckungen sind also möglich, so auch bei dem aus Halle gebürtigen Werner Diedrich, der zwischen Expressionismus und Konstruktivismus oszillierte.
Es bleibt dennoch im Herumgehen zwischen pastellgetönten Engelswelten und kantigen Möbeln, die mit ihrem in Holz ausgetragenen Konflikt zwischen Erdenschwere und Eleganz die Formensprache der Kunst widerspiegeln, der Eindruck von viel himmelsstürmendem Pathos und von tief empfundenen Ernst: Steiners ausufernde Philosophie ist auch für die anthroposophische Kunst keine leicht zu tragende Last.
Bis 25. Oktober, täglich außer Mi 10-18 Uhr. Katalog 38 Euro. Eröffnung in der Moritzburg: Sonnabend 18 Uhr. Eröffnung im Schloss Ostrau: Sonntag 11 Uhr. Um 14 Uhr Führung durch Schloss, Park und Grabkapelle Ostrau
