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Montagnola Montagnola: Wer den Dichter sucht, muss in die Schweiz reisen

Von margit boeckh 08.08.2012, 17:49

montagnola/MZ. - Von Ascona ist es eine knappe Autostunde bis Lugano. Dann schlängelt sich die Straße einen Hügel hinan nach Montagnola. Der Ort, der zum Hesseschen Lebensmittelpunkt über mehr als vier Jahrzehnte wurde. Am Ende des Gassengewirrs erhebt sich ein skurriler Bau: die "Casa Camuzzi".

Ein wunderlicher Palazzo voller Erker und Türmchen. Hier hatte Hesse im Mai 1919 wiederum ein neues Leben begonnen. Die erste Frau Maria Bernoulli und die drei Söhne ebenso hinter sich lassend wie die öffentlichen Zumutungen als schon etablierter Erfolgsschriftsteller. Hier, vom Balkon mit dem weiten Blick über die Tessiner Landschaft, sucht er seinem Traum vom Süden näher zu kommen als "ein kleiner Literat, der von Milch und Reis und Makkaroni lebte". Nicht nur freilich. Da waren noch die Grotti in der Nähe, jene rustikalen, typisch Tessiner Schänken.

Die Wege, die der Dichter einst von der Casa Camuzzi und später von seiner Villa Casa Hesse in sein Lieblings-Grotto "del Cavice" ging, führen noch immer durch das schattige Grün eines dichten Laubwaldes. Inzwischen ist der zwar mit zahlreichen Häusern und einem Sport- und Freizeit-Komplex durchsetzt. Doch stellenweise sind Wald und Wiesen noch so einsam, wie der auch malerisch begabte Hesse sie gerne und oft gezeichnet hat. Und im Grotto wird noch immer der süffige weiße Merlot in gestreiften Tassen ausgeschenkt.

Der berühmte Schriftstellergast? Die freundliche Wirtin muss überlegen und bringt schließlich eine vergilbte Klappkarte. Darauf ein bräunliches Foto. Ein älterer Herr in dunklem Anzug und hellem Strohhut wirft schwungvoll eine Kugel. Der Name ist nicht vermerkt. Doch unverkennbar ist das der "Glasperlenspiel"-Dichter, der sich hier dem Bocciaspiel hingibt.

Das Grotto ist eine der Stationen eines mehrstündigen Spazierweges auf Hesses Spuren in Montagnola. Er führt an seiner Lieblingsbank vorbei, die er in "Klingsors letzter Sommer" verewigt hat. Auch der Friedhof von Gentilino liegt am Wege. Dort ist an der grün überwucherten Friedhofsmauer die Grabstätte von Hermann Hesse und seiner dritten und letzten Frau Ninon zu finden. Ausgangs- und Endpunkt des Rundganges ist das Museum Hermann Hesse in der Torre Camuzzi eng neben dem gleichnamigen Palazzo. Der befindet sich wie das letzte Wohnhaus Hesses heute in Privatbesitz und ist nicht öffentlich zugänglich.

In dem von einer Stiftung betriebenen Museum führen winklige Stufen in überraschend hohe Räume mit Spitzbogenfenstern. Briefe, Bilder, Fotos, die Bibliothek geben Einblick in Hesses Tessiner Jahrzehnte. Auf dem Schreibtisch die Maschine Marke Premier No. 1, Zigarettenetui und Strohhut sowie einige seiner zum Markenzeichen gewordenen Metallbrillen. Auch dieser und jener Besucher trägt solch ein Modell, um sich "ein bisschen Hesse" zu fühlen. Der Meister selbst befand aus seinem Montagnola-Refugium heraus: "Von hier oben fühlt sich die Welt da draußen bis heute etwas merkwürdig an…"