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Moderne Metamorphosen: «Milchgesicht» von Jan Snela

05.04.2016, 08:49
Jan Snela präsentiert sein Debüt «Milchgesicht». Foto: Jens Kalaene
Jan Snela präsentiert sein Debüt «Milchgesicht». Foto: Jens Kalaene dpa-Zentralbild

Hamburg - In der Antike haben die Sagendichter ihre liebeshungrigen Götter in majestätische Tiere wie Schwäne und Stiere verwandelt, damit sie es leichter mit den Angebeteten haben.

Der Poetry-Slammer Jan Snela begibt sich in seinem ersten Erzählband «Milchgesicht» zwar auch ins Reich der Metamorphosen, verharrt aber in den etwas niedereren Ebenen der Fauna: Bei ihm kommen am Ende allein Marder oder Miezen heraus. Und in Sachen Eros sieht es auch nicht so gut aus wie bei den Göttern des Altertums.

Als ein «Bestiarium der Liebe» untertitelt der 1980 geborene Snela sein Debüt. Man könnte aus den zehn Erzählungen mit ihren ebenso vielen Kreaturen aber genauso gut die «Liebe eines Bestiariums» herauslesen. In «Der Lehrling» etwa erwischt der Dachdecker Murr (wie E.T.A. Hoffmanns Kater) eines Tages seine Freundin mit einem anderen beim Fummeln. «Gut gut, hier mäuselt's...», sagt er lapidar. Am Ende frisst der Gehörnte Katzenfutter.

Snela lässt immer wieder die Grenze zwischen animalischen Beschreibungen menschlichen Verhaltens und der tatsächlichen Tierwerdung des Protagonisten verschwimmen. Mal liegt ein Pärchen nach dem Geschlechtsverkehr «wie zwei Pantoffeltierchen fluxfusioniert im Überfließen» («Neulich im Spooky Speaker»), mal entwickelt sich Henri - in dessen Wohnung sich ein Hermelinweibchen eingenistet hat - mit der Zeit zu einem Marder («Das Wiesel»).

«Wenn ich schildere, was der Inhalt meiner Erzählungen ist, habe ich immer das Gefühl gar nichts Treffendes darüber zu sagen», so Snela einmal in einem Interview. Fünf Jahre brauchte er für sein Debüt. «Die Texte realisieren sich bei mir eher langsam.» Sein Schreiben? «Eine Art dilettantische Kammermusik». Und die beherrscht er virtuos.

Sichtbar verknallt ist Snela in die Sprache. Immer wieder zündet er ein lyrisch-detailliertes Attributfeuerwerk, wie etwa beim eingangs erwähnten Murr: «Der Bizeps ein Balken vom Balkentragen, vom Führen der Fäustel, vom Schlagen der Nägel, hinein in Gebälktes wie First und Sparre. Das Gehirn die durchwühlte Gitterbox auf der Ladefläche des klapprigen Kleintransporters.»

Für seinen Einfallsreichtum verdient der Autor höchstes Lob: Harald, «der Hirnenhancte»; Henri, der «die Lippen schnutet»; das «wunderfitzige» Wiesel mit seinem «Blickgebrizzel»; oder die Milch, diese «kantig verpackte, auf Höfen aus Eutern gesuckte, weiße, (...) von Lastwägen in Supermärkte chauffierte Flüssigkeit».

Was man Snela jedoch vorwerfen kann: In seiner Lust am literarischen Spiel verheddert er sich zuweilen in der Plapperei. Pausen sind ein «Vor-sich-hin-Geharre, das nichts in Gang setzt», schreibt er in «Das Wiesel», «erzeugt ein Gähnen, d. h. lässt Löcher klaffen im Narrativ, und Lücken starren, durch die das Nichts hereinweht. So fad und öd!» Jeden Raum will Snela mit Wörtern füllen. Dabei vernachlässigt er oft die nicht zu unterschätzende literarische Kunst der Andeutung.

Vor einigen Jahren erlangte der Autor einige Aufmerksamkeit, als er den Prosa-Hauptpreis des Berliner Open Mike gewann. Durch die Bank würdigten die Zeitungskritiker die damals vorgetragene Erzählung «Milchgesicht» - die «durchgeknallte Sprache» irgendwo zwischen Goethe, Eichendorff und Jetztwelt («taz») oder den «hinreißend originellen Sprachtaumel» («Welt»).

Snelas Slam-Poetry-Stil durchzieht nun auch die Erzählungen im Band «Milchgesicht», lautmalend sucht er nach Metaphern. Dass diese zuweilen etwas platt ausfallen können: nicht so schlimm. Denn die anderen, die um die Ecke gedachten - das sind Snelas Perlen.

Jan Snela: «Milchgesicht. Ein Bestiarium der Liebe». Klett-Cotta, 184 S., 17,95 Euro, ISBN: 978-3-608-98307-4. (dpa)