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"Mid90s" auf der Berlinale "Mid90s" auf der Berlinale: Jonah Hill überzeugt auch als Regisseur

Von Paul Gross 12.02.2019, 09:10
Jonah Hill überzeugt auch als Regisseur.
Jonah Hill überzeugt auch als Regisseur. AFP

Berlin - Er wollte keine Schauspieler zu Skatern machen, einfacher wäre es, Skater zu Schauspielern zu machen. Das erklärte der als Schauspieler mehrfach Oscar-prämierte Debütregisseur Jonah Hill („Moneyball“, „The Wolf of Wallstreet“) vor einem begeisterten Publikum im Berliner Zoo Palast. Ungewöhnlich, denn bekanntlich ist es ja der Job von Schauspielern, für eine Zeit zu etwas gemacht zu werden. Mit dem Skating aber ist es offenbar anders, das funktioniert so nicht.

Der 13-jährige Stevie (Sunny Suljic) sieht deutlich jünger aus, als er ist. Das Dazugehören wird dadurch nicht einfacher. Er will mit den großen, mit den coolen Jungs abhängen. In den Straßen von L.A., die Mitte der 90er-Jahre auch das Zuhause des heranwachsenden Jonah Hill waren, sind das Ray (Na-kel Smith), Fuckshit (Olan Prenatt), Fourth Grade (Ryder McLaughli) und Ruben (Gio Galicia). Warum haben manche Spitznamen und andere nicht? Das fragen sich Stevie, der bald Sunburn heißen soll, und der etwa gleichalte Ruben.

Wahrscheinlich ist es cooler keinen zu haben, denken sie sich, denn Ray ist der Coolste. Fuckshit, der nach jedem geglückten Flip trick oder Kickflip „Fuck, shit, that was dope“ ruft, ist zwar ein bisschen abgedreht, aber auch ziemlich cool. Fourth Grade spricht kaum, die Gang glaubt daher, er sei so schlau wie ein Viertklässler. Aber er filmt seine Jungs, wie sie skaten, Beamte beleidigen, sich mit jedem anlegen, der über die Straßen von L.A. läuft. Genau wie „Mid90s“-Kameramann Christopher Blauvelt tut er das im 4:3-Format.

Skating ist Freiheit

Zuhause ist die Welt für Stevie weniger schön, hier prügelt er sich in der ersten Szene mit seinem 18-jährigen Bruder Ian (Lucas Hedges). Nicht harmlos, sondern hart, viel zu hart. Die alleinerziehende Mutter Dabney (Katherine Waterston), versucht ihr bestes, das reicht aber nicht. Stevies Bewunderung für seinen Bruder und dessen Sneakers, Caps, CDs und Magazine interessiert Ian nicht. Deshalb sucht das, was Familie sein kann, auf der Straße.

Dort ist Skating kein Hobby, es ist Ausdruck von Zugehörigkeit, Rebellion und Mut. Das Kratzen im Hals nach der ersten Zigarette, aufgeschürfte Haut nach dem Sturz, der schnelle Puls beim ersten Abhängen im coolsten Skater-Shop der Stadt. Hip-Hop, Alkohol, Freiheit. All das ist Skating, all das ist Gegenkultur.

Die Regeln sind hier anders als bei Mama, hier wird Übermut mit Anerkennung belohnt. Stevie macht es nichts aus, wenn er nach einem misslungenen Sprung vom Dach stürzt oder sich bei einem Autounfall verletzt. Weil ihm seine neuen Freunde dafür Respekt zollen. Alles scheint möglich, vom brandneuen Skateboard bis zu Rauschmitteln und ersten sexuellen Erfahrungen. Jonah Hill glorifiziert seine Figuren nicht, er zeigt sie in all ihrer Unsicherheit und Überforderung. Und er zeigt, wie ihnen das Skaten den Platz in einer Welt gibt, mit der sie alle noch nicht besonders viel anfangen können.

Leichtfüßiges Erwachsenwerden

Liebevoll lässt der Regisseur seine unfertigen Figuren immer wieder aufeinander los, gegenseitig bezeichnen sie sich aus Unbeholfenheit erstmal als „Faggot“, „Nigga“ oder „Bean eater“, um sich abzutasten, kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Perfekt ist nichts auf den Straßen von L.A., aber hinter den verbalen und körperlichen Schutzreflexen jeder Figur steckt ein tiefes Bedürfnis nach Zusammenhalt.

Stevie wird in „Mid90s“ ein bisschen erwachsener und findet in Ray eine Vaterfigur, die ihm zuhört, ihn aufnimmt und zurechtweist. Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die so entspannt und leichtfüßig daherkommt, wie ihr wunderbarer Hip-Hop-Soundtrack, der nie wirklich anfängt oder aufhört. Jonah Hill schafft es – nicht ganz frei von Nostalgie – ein Lebensgefühl in knapp 90 Minuten einzufangen.

Um das nachzuempfinden, muss man sich weder in den Straßen von L.A. aufgehalten, noch die 90er-Jahre bewusst erlebt haben, dafür sind die Motive zu menschlich, die Dialoge zu natürlich, die Emotionen zu echt. Im Zoo Palast erzählte Hill seinem Publikum, in ihm stecke etwas von jeder Figur. Glaubt man ihm, dann will man ihn knuddeln.