Max Frisch Max Frisch: Baumeister seines eigenen Lebenslaufes
Halle (Saale)/MZ. - Seine Stücke finden sich nur noch selten auf den Spielplänen der deutschen Theater, seine Romane immerhin haben Eingang in den literarischen Kanon der Schulen gefunden - 100 Jahre nach seiner Geburt scheint der Schweizer Schriftsteller Max Frisch jene durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassikers erreicht zu haben, die er einst selbst dem bewunderten Kollegen Brecht bescheinigte. Dabei war eben dies - das festgeschriebene Bild im Bewusstsein der Anderen und die eigene Befangenheit im Lebenslauf - ja das zentrale Thema des Architektensohnes aus Zürich.
In großen Texten wie "Mein Name sei Gantenbein" oder "Biografie - ein Spiel" hat er das Identitätsproblem des modernen Menschen episch und dramatisch verhandelt - und in der Erzählung "Montauk" wie in der Komödie "Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie" den Konflikt zwischen den Geschlechtern sowie zwischen der bürgerlichen und der künstlerischen Existenz beschrieben. Wie skrupulös er dafür die eigene Biografie und die Beziehungen zu seinen Partnerinnen in den Blick nahm, ist auch den Tagebüchern zu entnehmen - der dritten tragenden Säule im Werk von Max Frisch.
Geboren am 15. Mai 1911, begann Frisch zunächst ein Germanistik-Studium und publizierte parallel erste Texte in der Neuen Zürcher Zeitung. Schon 1932 formulierte der Essay "Was bin ich?" das Leitmotiv seiner lebenslangen Selbstbefragung, fünf Jahre später aber änderte der junge Autor sein Ziel radikal: Er wechselte zum Studium der Architektur und vernichtete sein Frühwerk, eine erste Ehe und drei Kinder bekräftigten die Sehnsucht nach gutbürgerlicher Existenz. Parallel zu seinen Bauentwürfen - von denen nur wenige realisiert wurden - entstanden aber weiterhin literarische Texte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, den Frisch als Kanonier der Schweizer Armee erlebte, traten mehrere seiner Dramen vom Züricher Schauspielhaus her ihren Siegeszug an, 1954 brachte der Roman "Stiller" den Durchbruch. Er schloss sein Architekturbüro, ließ sich scheiden - und lebte fortan mit wechselnden Frauen, wobei seine Amour Fou mit der Dichterin Ingeborg Bachmann die spektakulärste seiner Affären blieb.
Dass der einst von den Tatmenschen-Posen der Avantgarde faszinierte Frisch seine öffentliche Rolle zunehmend politisch begriff und im Kalten Krieg immer wieder Blicke hinter den Eisernen Vorhang wagte, machte ihn einem konservativen Publikum eher verdächtig. Der literarische Rang seiner Arbeiten aber war über jeden Zweifel erhaben: Frisch gewann die wichtigsten Literaturpreise und verkaufte Millionen von Büchern, im eigenen Land war ihm bestenfalls Friedrich Dürrenmatt ebenbürtig. Der zehn Jahre Jüngere schrieb 1986 in seinem berühmten letzten Brief an Max Frisch: "Als einer, der so entschlossen wie Du seinen Fall zur Welt macht, bist Du mir, der ebenso hartnäckig die Welt zu seinem Fall macht, stets als Korrektur meines Schreibens vorgekommen. Dass wir uns auseinander bewegen mussten, war wohl vorgezeichnet." Fünf Jahre später war der Adressat dieses Grußes tot - gestorben an Darmkrebs, wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag.
Der Journalist Volker Weidermann, der zum 100. Geburtstag eine neue Biografie vorgelegt hat, bescheinigt dem Autor Frisch modernen Ton und "lichtdurchflutete" Sprache. Das Wichtigste aber sei, wie schonungslos er das eigene Dasein für die Literatur ausgebeutet und sein Leben unter das Diktat der Kunst gestellt habe. "Die Würde des Menschen", heißt es bei Frisch, "scheint mir, besteht in der Wahl."