Markus Lanz Markus Lanz: "Einfach mal nichts sagen"
Berlin/MZ - Die Kritik, die ihm entgegenschlägt, seit er im Herbst vorigen Jahres die Show „Wetten, dass..?“ übernommen hat, scheint ihn mehr zu beschäftigen, als er es zugeben möchte.
Als das Thema Fernsehen abgehandelt ist, zückt er sein Smartphone, um auf eine große, kaum bekannte Leidenschaft von ihm zu verweisen: die Fotografie. Er wischt mit dem Finger über das Display und führt durch eine Bildergalerie, die er in all den Jahren als Talkmaster gemacht hat. Die Bilder behält er für sich. „Sie fangen für mich besondere Momente ein. Man muss ja nicht immer alles, was man macht, in der Öffentlichkeit ausstellen“, sagt er.
Mit Markus Lanz sprach Martin Scholz.
Heute werden Sie „Wetten, dass..?“ zum fünften Mal moderieren, nachdem Sie bisher reichlich mit Häme bedacht wurden. Sehen Sie schon, dass es besser wird?
Lanz: Anfangs kam ich mir vor, wie der eine oder andere im Dschungelcamp, der sich hinterher wundert, was da draußen los ist, weil er doch geglaubt hatte zu wissen, worauf er sich eingelassen hat. Wenn du plötzlich mitten im Orkan steckst, merkst du, dass es für solche Ausnahmesituationen keinen Testlauf gibt. Das musst du dann entweder aushalten – oder du gehst ins Kloster.
Wundert Sie diese Wucht der Kritik?
Lanz: Ja und nein. Ja, weil ich immer noch finde: Wir machen nur ein bisschen Fernsehen. Nein, weil ich sehe, wie absolut jeder, der in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit steht, angegriffen wird, und zwar meistens anonym im Netz. Ich glaube, wir werden das irgendwann mal in Frage stellen müssen, weil es auf uns als Gesellschaft zersetzend wirkt.
Die Frage, ob Sie der Richtige und die Rundfunkgebühren in „Wetten, dass…?“ gut angelegt sind, hat zuletzt sogar die New York Times beschäftigt. Haben Sie das alles unterschätzt?
Lanz: Man kann sich auf solche Aufwallungen nicht vorbereiten.
Sind Sie empfindlicher geworden, seit Sie „Wetten, dass..?“ moderieren?
Lanz: Kurz vor Weihnachten, nach all der gekünstelten Empörung über eine Katzenmütze, war ich müde und habe mich gefragt: Warum tut man sich das eigentlich an? Ich habe einige Zeit gebraucht, um mich wieder zu sammeln.
Markus Lanz wurde am 16. März 1969 in Bruneck in Südtirol geboren. Nach dem Abitur ging er zunächst zum italienischen Heer, arbeitete dann bei einem Radiosender in Bruneck. Ab 1992 volontierte er bei Radio Hamburg und arbeitete später dort als Moderator. 1997 wechselte er zu RTL. Seit 2008 arbeitet er für das ZDF, zunächst als Urlaubsvertretung in der Kochsendung von Johannes B. Kerner, später übernahm er die Show.
Hinzu kam seine eigene Talksendung „Markus Lanz“. Seit Oktober 2012 moderiert er die Samstagabendshow „Wetten, dass…?“. Er hat für das ZDF mehrere Reportagen über seine Reisen an den Nordpol und den Südpol verfasst. Im Buchverlag des National Geographic erschien sein Bildband „Grönland: Meine Reisen ans andere Ende der Welt“. Lanz ist seit 2011 mit Angela Gessmann verheiratet. Aus einer früheren Beziehung mit TV-Moderatorin Birgit Schrowange hat er einen
Sohn.
Tom Hanks hatte ja nicht nur eine Katzenmütze auf dem Kopf, Sie sind auch noch im Sack um ihn herumgehüpft. Inzwischen zitierten Sie die Katzennummer gern. Ist das Ihre Form der Selbstironie?
Lanz: Ja, mag sein. Aber nur zur Erinnerung: Wir waren in Bremen, dort sind die Bremer Stadtmusikanten zu Hause. Ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, dass die Katzenmütze in zehn Jahren Fernsehkult sein wird. Und man wird es vermutlich zu einem großen Augenblick der Absurdität erhöhen, zu einem Höhepunkt im kollektiven Gedächtnis der TV-Nation oder so was. Und dann wird man sagen müssen: Nein, so grandios war es auch wieder nicht, es war einfach nur ein bisschen Spaß und elf Millionen haben zugesehen – was für eine irre Zahl!
Aber ich bin ja nicht der Einzige, der Feuer kriegt. Ich habe mit großem Interesse die Polit-Talkshow von Stefan Raab verfolgt. Er bekommt ja wegen seiner Art, Politiker anders zu befragen, auch immer wieder einen vor den Latz geknallt. Und er wirft deshalb auch nicht hin. Das imponiert mir.
Seit Edmund Stoiber ihn als Moderator für das Kanzlerkandidaten-Duell vorgeschlagen hat, wird darüber debattiert, ob Raab das darf und kann – und ob die Politik nicht zum Klamauk verkommt.
Lanz: Es war interessant zu sehen, wie die Kritiken zu Raabs zweiter Ausgabe seiner Polit-Sendung auf einmal so viel positiver ausfielen, obwohl sich die Sendungen meiner Ansicht nach gar nicht so dramatisch voneinander unterschieden haben. Ich schätze Stefan Raab sehr, weil er auf vielen Feldern kreativ ist – was ihm übrigens auch oft vorgeworfen wird. Ich finde aber, es geht zu weit, wenn sich einer auch für seine Talente entschuldigen muss.
Muss man Politik überhaupt unterhaltsamer präsentieren? Was hat Hannelore Kraft bei „Wetten, dass…?“ zu suchen?
Lanz: Sie war ein Wunschgast von mir, weil ich überzeugt davon bin, dass man Politiker im Fernsehen auch mal anders inszenieren muss, dass man sie auch anders befragen kann, als in den klassischen Politiksendungen. Der Auftritt von Edmund Stoiber in unserer Talkshow war für mich ein Highlight. Als wir ihm seine berühmten Einlassungen zum Transrapid vorspielten, sagte er ganz trocken: „Das ist Kult.“ Hans-Dietrich Genscher entgegnete mal auf eine Frage: „Woher haben Sie das denn?“ Ich sagte: „Von Ihrer Frau.“ Darauf er: „Mann, Mann, Mann!“ Wenn es gelingt, eine solche Atmosphäre herzustellen, dann klingt es plötzlich ganz anders, wenn er davon erzählt, wie er und Helmut Kohl in Moskau saßen und Kohl ihm nach den langen und komplizierten Zwei-plus-Vier-Gesprächen plötzlich leise zuflüsterte: „Wir sollten uns jetzt richtig schön betrinken“ – und dabei nicht ahnte, dass die Mikros schon offen waren.
Es kann auch schief gehen, Guido Westerwelle zum Beispiel degradierte Sie zum Stichwortgeber.
Lanz: Manchmal klappt es eben nicht. Westerwelle wollte als Außenminister seine Rolle wahren, was ich gut verstehen kann. Mein Bestreben muss es aber sein, ihn aus genau dieser Rolle herauszuholen, aus der Spur zu bringen. Ich fand, es war den Versuch wert, und es gab ein paar ziemlich gute Momente. Vor allem hat er in der Sendung an einigen Stellen einen wunderbaren Humor gezeigt.
Die Kritiken zu Ihren Sendungen sind sehr abwechslungsreich, um es mal so zu sagen. Für die einen sind Sie solide, gar souverän, für die anderen ein Scharlatan und Streber. Lesen Sie das alles?
Lanz: Das meiste nicht.
Sie sind inzwischen eine Marke, ein attraktives Gesicht, mit dem Ihr Sender vieles verkaufen kann. Ob Wissensquiz oder Schlittenfahrt zum Südpol.
Lanz: Schlittenfahrt trifft es nicht ganz: Wir haben die Schlitten selber gezogen, mehr als 500 Kilometer weit, 60 Kilo schwer, bei teilweise minus 40 Grad und Sturm, auf fast 3 000 Meter Höhe. Und nebenbei habe ich dort einen echten Freund gewonnen: Joey Kelly, den vielleicht loyalsten Menschen, den ich in diesem Beruf jemals kennengelernt habe. Und was die Marke angeht: Das ist überhaupt nicht meine Art zu denken. Ich tue das, was ich tue, mit großer Leidenschaft. Wir versuchen, Fernsehen zu machen, das nicht zynisch ist, und wenn dann gegen Mitternacht ein paar Zuschauer mit einem guten Gefühl ins Bett gehen, weil sie was erfahren und zweimal herzlich gelacht haben, dann ist alles erreicht. Und attraktives Gesicht? Erstens habe ich die besten Jahre hinter mir und zweitens steht ja jeder, der nicht aussieht wie ein Eimer, unter Blödheitsverdacht. Mein Vorbild ist meine Mutter. Ich fotografiere sie sehr gerne, weil sie so edle Falten hat. Das Lustige ist: Sie tadelt mich oft nach Sendungen: „Junge, leg doch nicht immer deine Stirn so in Falten!“ Ich sag dann immer: „Mama, ist mir egal, ich guck nun mal so.“ „Dann kriegst du Falten und siehst so alt aus wie ich.“ „Genau“, sage ich dann, „ich will mal so aussehen wie du: schön alt“.
Die Reisen, die Sie neben Ihren Unterhaltungssendungen unternehmen, führten Sie an so entlegene Orte wie Grönland und die Mongolei. In Ihrem Buch über Grönland schwärmen Sie von den Innuit, die sich in der Einsamkeit der Arktis stundenlang anschweigen könnten. Für einen Talkmaster ist das eine interessante Offenbarung.
Lanz: Ich habe schon diese Sehnsucht nach Orten der Stille. Meine Faszination für Grönland hat sicher damit zu tun, dass ich in meinem Hauptberuf ständig alle Antennen nach allen Seiten ausfahren muss, dass ich furchtbar aufpassen muss, was ich sage, was mir möglicherweise entgeht, und wie ich dann darauf reagiere. Das kostet viel Kraft, deshalb ist es schön, manchmal einfach zu schweigen.
Respekt basiert nicht zuletzt auf Verständnis. Haben Sie das Gefühl, diese für Sie und uns fremde Welt nach ein, zwei Reisen wirklich zu verstehen?
Lanz: Ich bereise die Arktis seit mehr als 15 Jahren, und es gab Jahre, in denen ich zwei-, dreimal pro Jahr in Grönland war. Trotzdem habe ich das seltsame Gefühl: Je öfter ich dort bin, desto weniger verstehe ich. Zum Beispiel die rätselhafte Verbindung eines Jägers der Polarinuit in Nordgrönland mit seinen Hunden: Der Leithund spürt, wenn es seinem Herrn schlecht geht. Und er versteht, dass er unter keinen Umständen bellen darf, wenn der Jäger draußen auf dem Eis bei minus 40 Grad viele Stunden lang regungslos am Robbenloch wartet, um Beute zu machen.
Manchmal schicken sie ihre Tiere dann einfach weg. Dann läuft das ganze Gespann los und zwar mit dem Schlitten, auf dem alles drauf ist, was die Jäger zum Überleben brauchen. Sie verlassen sich darauf, dass die Hunde nach einem Kilometer irgendwo draußen auf dem Eis anhalten, sich hinlegen und warten.
Ich erinnere mich auch noch gut daran, dass mir auf meiner ersten Reise in die Polarregion mulmig zumute war, als ich mit den Robbenjägern raus aufs Eis fuhr. Ich dachte: Ich spreche die Sprache nicht, ich kenne die beiden eigentlich gar nicht. Sie haben Gewehre dabei, theoretisch könnten Sie mich auch einfach umbringen.
So was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie losgelöst von allem unterwegs sind?
Lanz: Ja, auch. Es geht um absolutes Vertrauen. Wenn ich mit den Jägern unterwegs bin, bin ich ihnen und dieser gewaltigen Natur ausgeliefert. Was, wenn das Eis plötzlich bricht? Sie können dort niemanden anrufen. Es gibt auch keinen Wegweiser, nicht mal Spuren im Schnee. Nur die Hunde ahnen ungefähr, wo es langgeht. Und während du darüber nachdenkst, fährst du weiter auf dem Schlitten, bis es auf einmal knirscht. Die Jäger stoppen, und du merkst: Selbst die haben jetzt Angst, dass das Eis nicht mehr stabil sein könnte. In so einem Moment muss man bereit sein, sich mit Haut und Haaren auf sie einzulassen.
Was Ihnen offenbar nicht leicht fiel.
Lanz: In mir steigt in solchen Momenten manchmal Panik auf. Ich fange dann an, mich genauer mit den Menschen zu beschäftigen. Ich beobachte die Jäger, wie sie eine Zigarette nach der anderen drehen, bis ihnen fast die Finger abfrieren, höre dabei das Hecheln der Hunde. Irgendwann erreiche ich auf solchen Reisen einen anderen Aggregatzustand. Die Inuit in Kanada sagen: Die Arktis hat dich gebissen. Da ist was dran: Es ist wie eine Infektion.
Und Sie sind angesteckt vom Schweigen.
Lanz: Das Schweigen der Inuit ist ja Teil ihrer Kultur. In Siorapaluk, dem nördlichsten Dorf dieses Planeten, habe ich Menschen getroffen, deren Vorfahren schon vor 3 000 oder 4 000 Jahren dort gejagt und gelebt haben. Ich sehe da eine Verbindung zu den Bergbauern in meiner Heimat Südtirol. Die sitzen einem bei Begegnungen auch oft lange gegenüber und schweigen sich an. Bis dann nach einer gefühlten Ewigkeit einer von ihnen was sagt: „Und …wie isches?“
Leiden Sie manchmal an der Geschwätzigkeit, von der Sie in Ihrem Job ja leben?
Lanz: Nein, die Gespräche mit Gästen sind etwas Besonderes. Es macht mir Spaß, etwas von diesen Menschen zu erfahren. Natürlich gibt es Gäste, die in erster Linie kommen, um ein Buch, einen Film zu promoten. Das ist in Ordnung, solange sie bereit sind, darüber hinaus etwas preiszugeben. Und dann treffe ich immer wieder auf Leute wie jenen Mann aus Sizilien, der mehr als 22 Jahre im Gefängnis verbrachte, für einen Mord, den er nie begangen hat. Ich weiß in dem Moment: Der erzählt mir jetzt gerade die wichtigste Geschichte seines Lebens.
Herr Lanz, wenn Sie am Sonntagmorgen nach der „Wetten, dass..?“-Sendung aufwachen, wo wären Sie lieber, in Ihrem Hotelzimmer in Erwartung der Einschaltquoten oder in einem Iglu in Grönland?
Lanz: Am Sonntag will ich um 8.30 Uhr die Einschaltquoten sehen. Das ist, ehrlich gesagt, am Morgen danach das Einzige, was wirklich zählt. Es ist ein Ritual für jeden, der beim Fernsehen arbeitet. Wenn es gut gelaufen ist, wird es ein guter Tag. Wenn es nicht so gut gelaufen ist, wird es kein so guter Tag. Dann grübele ich erst einmal drei Stunden lang und frage mich: Woran hat’s gelegen?
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