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Marilyn Monroe Marilyn Monroe: Träume von süßer Labsal

Von margit boeckh 03.08.2012, 16:47

Halle (Saale)/MZ. - Natürlich, die jetzt auch noch! Lady Gaga, die brachial-schrille Pop-Rakete, versucht sich als Marilyn-Verschnitt. Verehrung oder Anmaßung? So viele wollten schon so sein wie die Monroe. Blond, Busen, Breitwandlächeln, alles da - aber? Mal im Ernst: Könnte man sich die echte Marilyn, kurvige Sinnlichkeit von der Platinmähne bis zum rotlackierten Zehennagel, vorstellen als Gym-gequälte Sehnen-Heroine, die sich dem Alter mit Hantel-Exerzitien entgegenstemmt, so mühsam wie vergeblich?

Marilyn wäre heute 86. Und ihr früher Tod vor gerade einem halben Jahrhundert hat nach allem, was man über ihr Leben weiß, sehr wohl auch mit den Ängsten einer Frau um die unerbittliche Hollywood-Verfallsuhr zu tun. Doch da war noch viel mehr an Versagensangst, Bedrohung und Einsamkeit im Leben der Norma Jeane Baker. Obwohl oder gerade weil die Kleine aus dem "White trash" unter dem Kunstnamen Marilyn Monroe zum größten Star gepuscht worden war, den die Traumfabrik jemals erfand.

Ihr Name genügt und man sieht die Bilder. Sieht den Plisseerock überm U-Bahn-Schacht wehen. Sieht MM in hautenger Funkelrobe "Happy birthday, Mr. President" hauchen an jenem 19. Mai 1962 im New Yorker Madison Square Garden - ganz Verlangen und Versprechen zugleich. Eine Frau, scheinbar auf der Höhe ihres Ruhms und umgeben von einer magischen Aura. Auch die bemühteste Kopie muss daran scheitern. "Neben Marilyn verblasste immer noch die Sonne", fasste Arthur Miller, intellektueller Schriftsteller und Ehemann Nr. 3, es kurz und bündig.

Nur elf Wochen nach dem Präsidenten-Event war die strahlende Sängerin für immer verstummt. Ihr allerletzter Auftritt war nichts weniger als glamourös. Auf dem Bett in einem karg möblierten Schlafzimmer in einem schlichten Bungalow am Fifth Helena Drive in Brentwood / Kalifornien. Ein Tisch mit Tablettenfläschchen, der Kopf auf der rechten Wange abgelegt, mit der rechten Hand den Telefonhörer umklammert.

So fanden die Haushälterin und ihr Psychiater am 5. August 1962 um drei Uhr früh die Frau, von der Männer rund um den Globus träumten. "Eine 36jährige, gut entwickelte, gutgenährte Weiße mit einem Körpergewicht von 53 Kilogramm und einer Körpergröße von 166 Zentimetern. Die Kopfhaut wird von gebleichtem blonden Haar bedeckt. Die Augen sind blau", notierte später der Leichenbeschauer. Todesursache? "Vermutlich Selbstmord".

Die lapidar aufgelisteten Fakten wurden zum makabren Requiem für die Frau, die auch ein halbes Jahrhundert danach als Sexsymbol schlechthin gilt. Fragen blieben: War es vielleicht doch Mord? Welche Rolle spielten die Kennedys? Die Geheimnisse um ihren Tod begleiten den Aufstieg in den Olymp der Mythen. Wie auch der tragische Hintergrund, den die Geschichte ihres Lebens und Sterbens liefert. Eine Story wie aus der Traumfabrik. Mehr als zweihundert Biografien haben das Leben der Aktrice nachgezeichnet, mehr oder weniger wahrheitsgetreu, mehr oder weniger kunstvoll.

Die lieblose Kindheit mit schizophrener, alkoholkranker Mutter, in Waisenhäusern und Pflegefamilien. Der nicht vorhandene Vater - ein lebenslanges Trauma. Die Flucht in eine frühe Teenager-Ehe. Der Start als Pin up-Girl. Endlich dann Hollywood. Doch auch die Traumfabrik bot ihr hinter dem äußeren Glanz letztlich nur die Ausbeutung durch das berüchtigte Studiosystem und selbst als Top-Star lächerliche Gagen und Geldsorgen.

Die gescheiterten Ehen mit Männern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Baseball-Legende Joe DiMaggio und Kultautor Arthur Miller. Skandale, Liebschaften, Fehlgeburten, Süchte. Ein Star, an dem die Regisseure verzweifelten. 65 Takes für eine einzige Aufnahme sind verbürgt, eineinhalb Drehtage für nur einen Satz.

"Es war die Hölle", resümierte Billy Wilder über seinen Star, "aber es hat sich gelohnt." Der Regisseur hatte mit "Manche mögen's heiß" den populärsten und wohl auch besten Film mit der Monroe gedreht. Wo sich ahnen lässt, was in dem vermeintlichen Dummchen an komödiantischer Schauspielkraft steckte. "Sie hatte den Zauber, den keine andere Schauspielerin hatte", sagt Wilder, der ihr schließlich in "Das verflixte 7. Jahr" auch jenes zum Topos gewordene Bild verschafft. Marilyn über dem New Yorker U-Bahn-Schacht, sich der Kühle des Zugwindes hingegeben.

"Sie war ein wahres Füllhorn", schrieb Normal Mailer. "Was sie erweckte, das waren Träume von süßer Labsal für die Lenden." Doch Joan Carol Oates kam in ihrer fiktiven Biografie "Blond" der wahren Marilyn womöglich näher. Dem Mädchen, das sie auch als Star immer geblieben ist. Dem ungeliebten Kind, das sich deshalb mit ständigem Hunger nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung unsicher durch das Leben tastet. Panische Versagensangst als Stigma einer verlorenen Kindheit.

Doch all das blieb ja doch ein Bild aus der Ferne. Der Blick auf eine seltsam Unberührbare hinter dem Zauber aus Sexappeal und ihrem Million-Dollar-Lächeln. Bis zu diesen so persönlichen Aufzeichnungen, die da vor zwei Jahren überraschend aus dem Monroe-Nachlass auftauchten. Tagebucheinträge, Notizen, Briefe und Gedichte. Sie beginnen 1943 und enden kurz vor ihrem Tod. Hier schreibt eine andere Frau als die vermeintlich allbekannte Sex-Ikone sich ihre Lebensqual von der Seele. Eine, die versucht, mit sich selbst klarzukommen, den unerfüllbaren eigenen Ansprüchen, den Zumutungen des Ruhms, der Einsamkeit, ja Verzweiflung.

Die Texte (Buchtitel "Marilyn Monroe - Tapfer leben", Fischer-Verlag) widersprechen dem gängigen Image der naiven Blonden. Vielmehr wird deutlich, dass hier eine nachdenkliche, reflektierte, an Literatur und Philosophie interessierte Frau immer wieder versucht hat, sich selbst und ihre Stellung im Leben zu sezieren.

Qualvolle Selbstbefragungen: "Warum fühle ich mich als Mensch so viel weniger wert als andere?". Und Ängste: "Hilfe, hilfe, hilfe. Das Leben rückt näher und ich will nur sterben." Dann wieder geht sie die Daseinsbewältigung ganz praktisch an, stellt Merklisten auf, was alles zu tun ist: "mehr anstrengen", "Disziplin aufbringen". Doch letztlich hat nichts wirklich geholfen. Die ständige Angst vor dem Sturz ins Bodenlose ist geblieben. Kein Halt, nirgends. "Allein!!! Ich bin allein - ich bin immer allein . . ." Zweifel, Verzweiflung, Todessehnsucht. Bis zu jener Nacht vor 50 Jahren, in der Marilyn-Norma Jeane dem irdischen Dasein entfloh. Doch noch immer wollen viele wenigstens ein bisschen sein wie sie - everlasting Marilyn . . .