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Lyrik Lyrik: Die Spreu schwimmt auf dem Hefeweizen

Von CHRISTIAN EGER 19.04.2011, 18:56

Halle (Saale)/MZ. - Hans-Eckardt Wenzel, der sich als Sänger nur noch Wenzel nennt, ist einer der wenigen Überlebenden der DDR-Liedermacherszene. Einer Szene der Abteilung: Es war einmal. Namen, die keiner mehr nennt. Lieder, die kaum noch einer kennt. Auf dem kurzen Marsch aus der Obhut der DDR-Konzert- und Gastspieldirektion in die Gegenwart ging vielen Zupfgeigenpoeten der Atem aus. Bis auf die wackere Barbara Thalheim. Den unverwüstlichen Gerhard Schöne. Und eben Wenzel.

Der Dichtersänger, der vor 1989 gemeinsam mit Steffen Mensching Theater- und Literaturgeschichte schrieb, hat sich über Jahre neben der lautstarken eine eigene Öffentlichkeit aufgebaut. Ein Publikum, in dem das ostdeutsche aufgehoben ist, sich aber nicht in diesem erschöpft. CD auf CD, Auszeichnungen in Serie, immer wieder Preise der Schallplattenkritik. Und daneben gern Literarisches. Nun "Seit ich am Meer bin": ein vollgültiger Lyrikband in Nachfolge von "Lied vom wilden Mohn" (1982) und "Antrag auf Verlängerung des Monats August" (1987).

Den Band eröffnet ein in Frankreich notiertes "Kleines Cevennen Lied", das endet: "Der Sommer geht zu Ende, / Die Vögel fliegen aus. / Ich fühl mich in der Fremde, / Als wäre ich zuhaus." Unbehaustheit, Sommerschluss, Gegenwart ohne Versprechen: Das sind Befunde, die in Varianten das Buch durchziehen. Kein Zufall. Wenzel, der aus Kropstädt bei Wittenberg stammt, ist inzwischen ein Mann von 55 Jahren: So einer sieht, wenn er am Meer steht, mehr aufs Naheliegende als in die Ferne. Ein Mann im Matrosenhemd, der ins Schifferklavier statt zum Fernrohr greift.

Wenzel ist ein Künstler, der als Sänger vom Gedicht kommt, und er ist als Dichter dort am besten, wo von vornherein das Lied in den Versen zu hören ist. Das gelingt aufs Leichteste in den ganz eigenen, das unmittelbare Selbsterleben einfangenden Gedichten wie "Ich bin der Wind", "Die Nacht so weich und rund" und "Kirschen und Erdbeeren". In letzterem heißt es: "Mein Traum wird leicht und bang und leer, / Von dem, was ich täglich mache / Und plötzlich vermisse ich alles umher, / Wie wenn ich nicht mehr erwache." Selbstverständlich ist der Dichtersänger Wenzel ein Sentimentaler, aber keiner von der verkniffenen oder kitschigen Sorte. Er ist ein Romantiker ohne Land, denn am Meer sein, heißt auch das: keinen festen Aufenthalt mehr zu haben. Und keinen Hinterhalt.

Großartig, lebendig, in der Ansprache neu ist Wenzels Gedicht "Bekenntnis", eine Empörung des Dichters gegen sich selbst: "Wenn ich voller List und Tücken / Nichts mehr frage, nicht mehr klage, / Weiß ich, daß ich deinen Blicken / Nicht mehr stand hielt seit dem Tage". Bedanken muss man sich für die Schlussverse des "Aufarbeitungs"-Gedichtes "Mea Culpa": "Aber ist das wirklich neu, / Wie sich die Sieger spreizen? / Bald schon schwimmt die Spreu / Auf dem Hefeweizen." Für politisches Kopfschütteln mag Wenzels Hasslied auf die Berliner Latte-Macchiato-Kultur sorgen, ein Wutausbruch gegen den Westen im Osten, überschrieben: "In meiner Stadt sind jetzt die Barbaren zu Hause". Aber: Wir erkennen uns auch an unseren Unversöhnlichkeiten. Und im Dichter den Zeitgenossen.