Luciano De Crescenzo Luciano De Crescenzo: «Also sprach Bellavista»

Rom/dpa. - Er leide an einer seltenen Krankheit, erzählte der italienische Philosoph und Bestsellerautor Luciano De Crescenzo unlängst. Er könne sich keine Gesichter merken. «Eines Tages habe ich mich selbst nicht im Spiegel erkannt.» Seine Schwester begrüßte er mit «Gestatten, De Crescenzo». Natürlich dachten seine Leser, der Mann wolle sie auf den Arm nehmen. «Typisch De Crescenzo!» Aber selbst seine größten Fans wissen heute nicht genau, ob die Geschichte stimmt oder nicht. Am 20. August wird De Crescenzo 75 Jahre alt - Ernstes mit Humor zu erzählen war immer seine Spezialität.
In Deutschland ist der Neapolitaner, der in seinem «ersten Leben» 20 Jahre lang Manager bei IBM war, vor allem durch das Buch und den gleichnamigen Film «Also sprach Bellavista» populär. Darin spaziert ein pensionierter Gymnasiallehrer durch Neapel, trifft schrullige Typen wie einen «Vizeersatzhausmeister» und einen Dauerarbeitslosen und parliert mit ihnen über Politik, Frauen, Philosophie und Alltagskram, dass es eine Freude ist. «Philosophie ist im Alltag sehr nützlich. Leider wurde ihr Studium nie zwangsweise eingeführt, wie die Wehrpflicht.» De Crescenzo, das Allroundtalent, führt im Film sogar Regie und spielt die Hauptrolle.
Wer als Philosoph weltweit zehn Millionen Bücher verkauft, hat natürlich Kritiker. «Platter Vereinfacher», monieren sie. Seine witzig-spritzigen Ausführungen zu Sokrates und Homers «Odyssee» seien «populärwissenschaftlicher Aufguss ohne Tiefgang». So etwas wurmt De Crescenzo. Tatsächlich klingen manche seiner Ideen beim ersten Hinhören originell, beim zweiten schon weniger. «Das ganze Leben kann man mit zwei Worten definieren: Revolution und Television.» Junge Menschen wollten die Welt verändern, die Alten begnügen sich damit, den Fernsehsender zu wechseln.
Ähnlich volksnah nähert sich der Topverdiener unter den italienischen Schriftstellern dem uralten Philosophen-Problem von Sein und Schein: Zum Beispiel, dass sich die Menschen immer Kleidung kaufen, auch wenn sie schon längst genug zum Anziehen haben. «Wir kaufen immer weiter Kleider, weil wir nur in der Welt des Scheins leben und nicht in der des Seins.» Muss man das ernst nehmen? Schließlich wird er in Italien auch der «lachende Philosoph» genannt.
De Crescenzo wurde in Neapel als Sohn eines Handschuhmachers geboren, auch er lernte erst mal etwas Praktisches, nämlich Ingenieur. Zwar konnte er immer schon flott und unterhaltsam Geschichten erzählen, aber bis er 50 war, arbeitete er beim Computerunternehmen IBM. Von der «Raupe zum Schmetterling» habe er sich damals entpuppt, aber später festgestellt, «dass Künstler im Alltag das gleiche machen wie Manager», nämlich über Verkaufszahlen (ihrer Bücher) nachdenken. Auch seine Auslassungen über Politik sind so ähnlich: Da vergleicht der Philosoph etwa die Wahlkabine mit der Duschkabine: «Man dreht am Wasserhahn, warm und kalt, und mischt sich seine Regierung selbst.»
«Oi dialogoi, Von der Kunst miteinander zu reden» (1985), heißt sein vielleicht schönstes Buch, in dem er die Philosophie des Sokrates ganz im Plauderton ins heutige Neapel verlegt. In «Der Listenreiche. Die Odyssee, neu erzählt für den Leser von heute» (1998) spinnt er Homers Geschichte einfach weiter: Nachdem der alte Grieche nach zehnjähriger Irrfahrt endlich wieder sein Weib in den Armen hält, geht er zum Hafen, erblickt sein Schiff - und ihm wird klar, dass das Meer ihm zur neuen Heimat geworden ist. «Auf Männer, legen wir ab!», ruft der Held. Seit einiger Zeit schreibt De Crescenzo Bücher mit deutlich biografischen Zügen: Ob er aber wirklich an der seltenen Krankheit mit dem schlechten Gedächtnis für Gesichter leidet, erfährt der Leser aber auch da nicht.