Luc Besson Luc Besson: «Noch keine Freiheit»

Halle (Saale)/MZ. - Die 66-jährige Friedensnobelpreisträgerin bedankt sich, dass der Film "The Lady", der ihr Leben und ihren Kampf für Demokratie in ihrer Heimat beschreibt, einen Preis bekommen hat. Und sie bedankt sich bei dem Regisseur, dem Franzosen Luc Besson, dass er ihn gemacht hat. Der sitzt an diesem Abend in Berlin und ist sichtlich bewegt. Bis vor kurzem wäre es der birmanischen Dissidentin nicht möglich gewesen, auf diese Weise in der Öffentlichkeit zu sprechen. Erst im November 2010 hatte die Militärregierung Birmas Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen, der - mit Unterbrechungen - 15 Jahre gedauert hatte.
Die Tochter des 1947 ermordeten birmanischen Nationalhelden und Unabhängigkeitskämpfers Aung San war in Indien und England aufgewachsen. In Oxford lernte sie ihren Mann, den Tibetologen Michael Aris kennen, mit dem sie zwei Söhne hat. Als sie 1988 in die birmanische Hauptstadt Rangun zurückkehrte, um ihre im Sterben liegende Mutter zu pflegen, wurde sie Zeugin blutiger Aufstände, als eine Militärregierung die nächste ablöste. Sie blieb in der Heimat, gründete die "National League for Democracy", die sich für die gewaltfreie Demokratisierung ihrer Heimat einsetzte. 1990 gewann sie die Wahlen - was von der Junta nicht anerkannte wurde. Seitdem ist sie immer wieder unter Hausarrest gesetzt worden. 1991 wurde ihr für ihren gewaltlosen Kampf für die Demokratie der Friedensnobelpreis verliehen. Ihr Ehemann durfte seine Frau von 1995 bis zu seinem Krebstod 1999 nicht mehr besuchen. Suu Kyi selbst hatte Angebote der Junta, aus Birma auszureisen, stets ausgeschlagen, weil sie befürchtete, dass ihr die Wiedereinreise verweigerte werden würde.
Bei der morgigen Nachwahl zum Parlament kandidiert Suu Kyi für einen Sitz.
Luc Besson schildert in seinem eindrucksvollen Film nicht nur den politischen Kampf Suu Kyis, er zeigt vor allem, wie sehr sie unter der jahrelangen Trennung von ihrem in Oxford lebenden Mann und ihren Kindern gelitten hat. Und allen angekündigten Reformen der neuen Regierung in Rangun zum Trotz, bleibt der französische Filmemacher skeptisch: Denn sein Film darf in Birma nicht gezeigt werden.
Das Gespräch führten Frank Olbert und Martin Scholz.
Monsieur Besson, für Ihren Film "The Lady" über die birmanische Dissidentin Aung San Suu Kyi hatte Ihnen die damals noch regierende Junta die Dreherlaubnis in Birma verweigert. Die Orte, die Sie im Film zeigen, beispielsweise die Shwedagon Pagode, die Straßen in der Hauptstadt Rangun, sehen erstaunlich authentisch aus . . .
Besson: Waren Sie mal in Birma?
Ja. 1996. Suu Kyi stand schon damals unter Hausarrest. Ihr Haus war von den Militärs abgeschottet. Wir sind damals mit einem Touristenvisum ins Land gekommen.
Besson: Verstehe. Wissen Sie was? Genau so habe ich es auch gemacht. Ich hatte mich als Tourist getarnt. Ich bin in meinem Hawaiihemd ungehindert durch Birma gereist und habe die ganze Zeit mit der Handycam gefilmt. Ich besuchte die Tempelanlagen von Pagan, den Irrawaddy-Fluss und natürlich Rangun. Am Ende hatte ich mehr als 17 Stunden Filmmaterial beisammen. Vieles davon habe ich später in meinen Film integriert. Was Sie sehen, ist also tatsächlich die echte Shwedagon Pagode aus Rangun. Ich hatte mir vor meiner Reise Storyboards gezeichnet, in denen ich die wesentlichen Szenen und Einstellungen skizziert hatte. Ich habe in Birma also nicht etwa einfach drauflos gefilmt, ich wusste genau, welche Einstellung ich später brauchen würde.
Sie haben das Land in erster Linie aus der Sicht des Filmemachers betrachtet. Welche Eindrücke haben Sie sonst noch aus Birma mitgenommen?
Besson: Birma ist ein Entwicklungsland, es gibt dort noch keine Freiheit. Wenn Sie dort beispielsweise das Haus Ihrer Schwester besuchen wollten, müssten Sie das vorher auf der Polizeistation anmelden. Und wenn Sie dann nicht dort erscheinen würden, steckte man Sie ins Gefängnis. Oder ein anderes Beispiel: Wenn Sie in Birma einen Song schreiben, muss die Regierung die Unbedenklichkeit der Texte vorher per Stempel absegnen. Sonst werden Sie niemanden finden, der Ihren Song aufnimmt.
Einen Großteil der Rollen haben Sie mit birmanischen Laienschauspielern besetzt, von denen viele erstmals vor der Kamera standen. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Besson: Sehen Sie, ich bin kein Asiate. Es war für mich harte Arbeit, mich in dieses Land und in die Situation hineinzudenken. Man muss auf eine gewisse Art demütig sein. Ein abschreckendes Beispiel sind viele amerikanische Filme, die in Paris spielen: Immer haben die Franzosen eine Baskenmütze auf dem Kopf, ein Baguette unter dem Arm, sie rauchen, tragen Schnäuzer und sind leidenschaftlich. Ich wollte auf gar keinen Fall irgendwelche Klischees über Birma verbreiten. Davor hatte ich regelrecht Angst. Ich wollte nicht, dass Birmanen sich eines Tages diesen Film ansehen würden und dann stöhnen: was für eine Farce! Deshalb habe ich viele Menschen aus dem Land in die Produktion mit einbezogen. Viele meiner birmanischen Laienschauspieler lebten in einem Flüchtlingslager im Norden Thailands. Wir gingen dorthin, probten mit ihnen. 200 von ihnen waren sehr überzeugend, ich nahm sie dann mit zu den Dreharbeiten. Darunter waren zum Beispiel Anwälte und Journalisten. Andere wiederum hatten zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt eine Kamera gesehen. Als einige dann zum ersten Mal der Hauptdarstellerin Michelle Yeoh begegneten, die Aung San Suu Kyi extrem ähnlich sieht durch Kostüm und Maske, sind sie fast in Ohnmacht gefallen. Sie konnten es sich einfach nicht vorstellen, dass man mit Make-up und Maskenbildnern jemand so verändern konnte, dass er wie Suu Kyi aussah.
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ls Sie anfingen, den Film zu drehen, stand die birmanische Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi noch unter Hausarrest. Erst im November 2010 hob die Militärregierung ihn auf. Morgen nimmt Suu Kyi nach insgesamt 15 Jahren unter Arrest erstmals wieder an den Wahlen in Ihrer Heimat teil. Haben Sie sie nach Ihrer Freilassung treffen können?
Besson: Ja, ich habe sie in ihrem Haus in Rangun getroffen. Was für mich zunächst sehr seltsam war. Denn ich hatte während der Dreharbeiten vier Monate mit einer sehr real erscheinenden Schein-Suu-Kyi verbracht. Als ich dann vor der echten stand, war es zunächst ein Schock, als Fiktion und Realität aufeinandertrafen. Ich war überwältigt, wie sehr unser Schauplatz und unsere Hauptdarstellerin Michelle Yeoh dem realen Haus und der realen Aung San Suu Kyi ähnelten.
Worüber haben Sie mit ihr gesprochen?
Besson: Über alles, außer über den Film. Sie hat ihn noch nicht gesehen, möchte ihn auch erst mal nicht sehen. Was ich verstehen kann, es sind wahrscheinlich zu viele schmerzhafte Erinnerungen damit verbunden. Aber ihre beiden Söhne, die in England leben, haben uns bei diesem Projekt sehr unterstützt. Die Gespräche mit ihr haben mich sehr bewegt. Diese Frau stand fast 15 Jahre unter Hausarrest - ich traf sie ein paar Wochen nach ihrer Freilassung. Ich war für sie so etwas wie ein großer Fernseher. Es war, als hielte sie eine imaginäre Fernbedienung in der Hand und zappte durch mich hindurch: Was ist in Frankreich los, in Italien, überhaupt in Europa? Sie hatte so viele Fragen, war neugierig auf alles. Vor allem aber war sie glücklich. Was mir ebenfalls sehr imponierte: Sie verlor kein schlechtes Wort über jene Leute, die sie seit fast 20 Jahren gequält und unterdrückt hatten. Kein Wort!
Wird Ihr Film inzwischen in Birma gezeigt?
Besson: Nein, er ist dort verboten. Viele Menschen in Birma haben ihn dennoch gesehen, weil offenbar unglaublich Piratenkopien von "The Lady" im Umlauf sind. Wie ich hörte, hat der Film dort bislang alle Rekorde gebrochen, was die Verbreitung von Piratenkopien betrifft. Es sind wahrscheinlich sehr schlechte Kopien, was mich als Filmemacher natürlich ärgert. Aber in diesem Fall ist es das erste Mal, dass ich mich über die illegale Verbreitung eines meiner Filme freue.
Sie waren bisher nicht unbedingt für Filme mit politischen Botschaften bekannt. Worin bestand Ihr Antrieb, diesen Film zu drehen?
Besson: Ich muss zugeben, anfangs wusste ich nicht viel über sie. Das Übliche halt: Ich wusste von ihrem Friedensnobelpreis, von ihrem britischen Ehemann und den beiden Kindern, die jahrelang von ihr getrennt lebten, während sie unter Hausarrest stand. Ich wusste, dass sie für eine gewaltlose Demokratisierung in ihrem Land eintrat und ich hatte auch die verrückte Geschichte von dem Amerikaner gelesen, der durch den angrenzenden See zu ihrem Anwesen geschwommen war - und sie damit enorm in Schwierigkeiten gebracht hatte. Viel mehr wusste ich nicht. Bis mir die Schauspielerin Michelle Yeoh das Drehbuch empfahl, in dem auch der Mensch hinter der Ikone deutlich wurde. Ich las es und musste immer wieder heulen. Diese Geschichte musste erzählt werden!
Sie schildern auch die Geschichte der Ehefrau und Mutter Suu Kyi. Weil sie in Birma unter Hausarrest stand, konnte sie ihren in England lebenden Ehemann und ihre beiden Söhne jahrelang nicht sehen. Nicht mal als ihr Mann im Sterben lag. Wenn sie Birma verlassen hätte, hätte ihr die Junta die Wiedereinreise verweigert.
Besson: Ja. Sie hat einen unglaublichen Konflikt in sich getragen - war zerrissen zwischen der Liebe zu ihrem Land und der zu ihrer Familie. Ich dachte mir nur: Die Menschen müssen erfahren, was diese Frau durchgemacht hat. In den Medien wurde sie wegen ihrer Unnachgiebigkeit und Widerstandskraft zur "Stahl-Orchidee" stilisiert. Aber das ist nur eine sehr oberflächliche Sicht.
Wie würden Sie Aung San Suu Kyi charakterisieren?
Besson: Natürlich ist sie eine sehr starke, sehr willensstarke Persönlichkeit. Andererseits ist sie auch nur ein Mensch wie Sie und ich, sensibel, sehr verletzlich, und manchmal ganz und gar nicht stark.
In Birma zeigt sich die Wirkung Ihres politischen Films daran, dass er verboten ist
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Besson: Ich muss Ihnen widersprechen, denn ich habe keinen politischen Film gemacht.
Wenn "The Lady" kein politischer Film ist, was dann?
Besson: Für mich erzählt er in erster Linie eine fast unmögliche Liebesgeschichte, zu Zeiten einer Diktatur. Der Terror, die Folter - all das wird in meinem Film schonungslos gezeigt, aber im Vordergrund steht die Liebe zwischen Aung San Suu Kyi und ihrem Mann Michael Aris, ihren beiden Söhnen, auch die Liebe zu ihrem Land. Suu Kyi zeigt, dass Liebe auch eine Waffe ist.
Wie meinen Sie das?
Besson: In dem Sinne, dass Liebe für Suu Kyi eine Kraft war, die ihr geholfen hat, alle Bedrohungen und Schikanen der Junta, nicht nur zu erdulden, sondern letztlich auch zu überwinden. Sie zog mit der Liebe als Waffe in einen Krieg, den es zu gewinnen galt. Eine Frau, gerade mal 50 Kilo schwer, konnte einer Armee von 300 000 Mann widerstehen, und das fast 25 Jahre lang. Von dem Moment an, als die Junta sie im Juli 1989 erstmals unter Hausarrest gestellt hatte, hatte sie schon verloren.
Die Militärjunta hat die Macht im März 2011 an eine zivile Regierung unter der Leitung des früheren Generals Thein Sein übergeben. Der neue Herrscher überrascht den Rest der Welt seitdem mit einer Reihe von Reformen. Die Zensur wurde gelockert, politische Gefangene wurden freigelassen und bei den Wahlen morgen sind erstmals auch westliche Beobachter zugelassen. Ist das zumindest eine Ahnung von der Freiheit, für die sie jahrelang gekämpft hat?
Besson: Zunächst einmal geht es, glaube ich, nicht so sehr um ihre persönliche Freiheit. Denn selbst unter Hausarrest war Suu Kyi der freieste Mensch, den man sich vorstellen kann. Jetzt geht es also nicht mehr um ihre eigene Freiheit, sondern um die ihres Volkes. Von meinen Erfahrungen in Birma ausgehend, kann ich nur sagen: Die Freiheit lässt noch auf sich warten. Morgen kommt sie ganz sicher noch nicht. Aber vielleicht Übermorgen.
Monsieur Besson, Sie haben vor nicht allzu langer Zeit versichert, Sie wollten überhaupt keine Filme mehr machen. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Besson: Das war nicht nur so daher gesagt, ich war einfach müde, ich war wie ausgetrocknet. Sehen Sie, ich arbeite an Sets, seit ich Siebzehn bin. Als ich die 45 erreicht hatte, war ich ausgebrannt: Es war kein Vergnügen mehr, mit Schauspielern zu arbeiten. 14 Wochen Dreharbeiten, jeden Tag von fünf Uhr morgens bis Mitternacht - das laugt dich aus. Da bleibt keine Zeit zum leben. Das saugt dir das Blut aus. Filmemachen ist oft ein schmerzhafter Prozess, zumindest, wenn du es gut machen willst. Ohne Leidenschaft kann man keine Filme drehen. Also dachte ich mir: Besser hörst du erst mal auf damit. Kommt die Leidenschaft zurück - prima. Wenn nicht, gibt es noch zig andere Dinge, die ich machen kann.