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Lubomyr Melnyk: Piano-Magier mit später Anerkennung

12.05.2016, 16:45
Lubomyr Melnyk entführt in andere Welten. Foto: Aleksandra Kawka
Lubomyr Melnyk entführt in andere Welten. Foto: Aleksandra Kawka dpa

Berlin - Geschwindigkeit ist keine Hexerei! Oder doch? Bei dem Pianisten Lubomyr Melnyk klingt es, als sei da eine Menge Magie mit im Spiel. Der Mann schafft 19,5 Einzelnoten pro Sekunde und ist damit einer der schnellsten Pianisten dieser Welt.

Aber eine brillante Klaviertechnik allein garantiert keine Schönheit - die aber zaubert der in München geborene Sohn ukrainischer Eltern, der in Kanada aufwuchs, mit seinem ununterbrochenen Klangstrom, in den man eintauchen und sich davontragen lassen kann, scheinbar mühelos hervor. Technik verbindet sich hier mit Romantik zu einer komplexen und tranceartigen Einheit. Beim Spielen würde er eins mit seinem Piano werden, beschreibt Melnyk diesen Zustand des Entrücktseins.

«Continuous Music» nennt der Ukrainer seine einzigartigen und melodiösen Klangschöpfungen der ineinanderfließenden Töne, die immer wieder Bilder der Natur beschwören und sehr viel mit Transzendenz zu tun haben. «Wenn ich spiele, dann werde ich zu einem fliegenden Adler, einem schwimmenden Delfin, einem laufenden Schimpansen», sagte der Musiker, der etwas von einem Hippie-Bohemian oder alttestamentarischen Propheten hat, dem «Guardian».

«Illirion» heißt Lubomyr Melnyks neues Album, das ihn weiter aus dem Schatten ins Licht bringen sollte. Seit einigen Jahren erst erfährt der 67-jährige Ausnahmekünstler, bei dem Chopin, Minimal Music und Ambient einen Widerhall finden, eine gewisse Anerkennung.

Die klassische Welt, in der sich Melnyk verwurzelt sieht, hat ihn über all die Jahrzehnte konsequent ignoriert. Anerkennung erfuhr er von ganz anderer Seite: Das Avantgarde-Label Erased Tapes nahm den Pianisten für das Album «Corollaries» (2013) unter Vertrag und bescherte ihm damit ein neues Publikum aus dem Indie-Bereich. Einen «Schmelztiegel für innovative und einfallsreiche Musiker» hat Label-Gründer Robert Raths Erased Tapes genannt.

Da passte Melnyk, der inzwischen bei Sony Music Classical gelandet ist, genau hin. Hier fand er eine Heimat in der «Nische» der Neo-Klassik (Nils Frahm, Federico Albanese, Ólafur Arnalds), bei der die Grenzen zwischen E- und U-Musik konsequent verwischt und aufgelöst werden.

Da lagen Jahre der Misere hinter ihm: Als Melnyk in den 70er Jahren in Paris landete, war er ein armer Poet ohne Bühne und Publikum. «Ich hungerte. Ich hatte nichts zu essen», erinnerte sich Melnyk im «Guardian»-Interview.

Der Song «Solitude No. 1», eine langsam dahinfließende Ballade über die Einsamkeit, mag da als Beschreibung seines Außenseitertums durchaus passen. Dramatisch wird es in «Sunset», wo die Sonne furios im Meer versenkt. Und ganz offenbar ist Lubomyr Melnyck von Wolken fasziniert: Das leicht schwebende «Cloud No. 81» - Teil einer ganzen Serie - evoziert bauschige Wolken, die sanft am Himmel entlangziehen. Wie das live klingt, kann im Juni in Duisburg beim Traumzeit Festival (17.-19.6) erfahren.

Lubomyr Melnyck hat lange um Anerkennung ringen müssen, jetzt aber habe er endlich das Gefühl, dass seine Existenz nicht bedeutungslos sei, sagte er dem «Guardian» - «und das meine Musik nicht bedeutungslos ist». (dpa)