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Literatur Literatur: Und der Meister wartet im Park

Von Christian Eger 04.09.2007, 16:45

Halle/MZ. - Teenager, die in der Sprache der Fänger als "rara avis", seltener Vogel, oder "s. S.", "sehr Süßer", gelten.

Wird so ein Knabe ausgespäht, bittet man, ihn fotografieren zu dürfen. Wenig später tritt dann George selbst ins Spiel. Der Jüngling wird eingeladen und insgeheim getestet, ob er in Georges Kreis passt, der sich "Staat" nennt. Die Methode hat Erfolg. Der zum Zeitpunkt der Entdeckung erst 14-jährige Gymnasiast Max Kronberger (1888-1904), der nach seinem frühen Tod von George zum Gottessohn "Maximin" verklärt wird, oder der Kunsthistoriker Percy Gothein (1896-1944), der als Homosexueller im KZ Sachsenhausen sterben wird: Am Anfang des Weges als Jünger, Freund und - oft, aber nicht notwendig - als Liebhaber des Schriftstellers steht so ein Fototermin.

Weil George, der 1868 als Sohn eines wohlhabenden Weingutbesitzers im rheinischen Bingen geboren wurde, Kunst und Leben als eine Einheit begriff, ist ein Gespräch über seine dem Symbolismus und der Neuromantik verpflichete Kunst von dem über seinen Alltag schwer zu trennen. Sehr zum Nachteil des Künstlers, der gern als skandalöse Person abgefertigt wird. Als Dichter ist dieser Meister des Dekorativen und Sakralen, der ein Star unter den Privat-Propheten um 1900 war, heute ein Klassiker "in der Reihe der Ungelesenen" (Ludwig Marcuse). Ein großer Kunst-, Stil- und Sprachschöpfer bleibt er trotz alledem. Ein Könner, der umgarnende Verse schrieb wie: "Komm in den totgesagten park und schau: / Der schimmer ferner lächelnder gestade / Der reinen wolken unverhofftes blau / Erhellt die weiher und die bunten pfade".

Der in Berlin lebende Autor Thomas Karlauf ist in den "totgesagten Park" hinabgestiegen, als den man die Literatur- und Kulturgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts auch begreifen kann. Seine mit dem Untertitel "Die Entdeckung des Charismas" verfasste George-Biografie ist ein vor Neugier, Quellen- und Detailfülle zuweilen überbordendes Personen- und Zeitbild.

Form vor Sinn

Ein anregender Versuch, das Ereignis George vor allem sozialhistorisch zu verorten. Das Literarische, wo es nicht das Zitieren und kurzatmige Deuten einzelner Verse meint, kommt entschieden zu kurz; die großen künstlerischen Linien, in denen Georges Schaffen steht, werden nicht entwickelt.

Dafür erzählt Karlauf mit journalistischer Genauigkeit, frei von Pathos und Parteigeist; jede Figur hat hier Herkunft und Kontur. Karlauf zeigt George, der mit Quartieren in München, Heidelberg und Berlin besitzlos und wie selbstverständlich vom Vermögen seiner Eltern und Verehrer lebt, als die Provokation, die er bis heute darstellt: künstlerisch (Form vor Sinn), sozial (Aristokratie des Mannes), politisch (Kult der Tat), ideologisch (das bessere "geheime" führt das reale gemeine Deutschland) und sexuell ("übergeschlechtliche" Liebe, die Homosexualität nicht kriminalisiert). Auch eine knackige These hat Karlauf zu bieten: Georges Dichtung sei "der ungeheuerliche Versuch, die Päderastie mit pädagogischem Eifer zur höchsten geistigen Daseinsform zu erklären". An dieser These ist nur deren denunzierender Gestus falsch.

Kreis statt Kollektiv

Zu keiner Zeit hat es an Versuchen gefehlt, George - der zu brutaler Selbstbezüglichkeit neigte - künstlerisch zu erledigen, in dem man ihn menschlich dämonisierte. Ricarda Huch: "Er sieht aus wie das böse Princip oder ein giftiger Pilz". Bertolt Brecht: "Die Säule, die sich dieser Heilige ausgesucht hat, ist mit zu viel Schlauheit ausgesucht". Der völkische Literaturhistoriker Adolf Bartels: "esoterische Haschisch- oder Eindämmerungspoesie". Der marxistische Ästhetiker Georg Lukács: "imperialistische Parklyrik". Allein je tiefer man mit Karlauf in den George-Alltag dringt, um so sympathischer erscheint dieser eigensinnige Mann.

Keinem seiner Jünglinge, unter denen kluge Köpfe wie die Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf, Max Kommerell und Ernst Bertram sowie der Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg zu finden waren, ist - so weit es hier sichtbar wird - ein Unrecht geschehen. Bei Lichte betrachtet, war Georges "Sekte" eine Spielart jenes Arbeits-"Kollektivs", das Brecht - seinerseits bis ins Sexuelle - Jahrzehnte später betreiben sollte. Säulen-Heiliger? Strategische Schlauheit? Was hätte daran ausgerechnet Brecht aussetzen wollen?

Man hat den Kreis Georges, der 1933 in der Schweiz auch ideell fernab von Hitlers Terror starb, auch als ein geistig-sittliches Alternativ-Projekt unter anderen zu begreifen. Wer nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges in die Welt trat, wählte entweder die Kunst oder die Politik als Religionsersatz - und das mit religiösem Eifer. George wählte die Kunst. Karlauf zeigt es mit Energie und Fairness.

Thomas Karlauf: Stefan George, Blessing Verlag, 816 Seiten, mit Abb., 29,90 Euro