"Lichte" Lieder vom Lande "Lichte" Lieder vom Lande: Faszinierender Deutschrock aus dem Burgenlandkreis

Halle (Saale) - Es ist nahezu unmöglich, das Album „Dekade“ der Band Lichte in einem Rutsch durchzuhören. Immer wieder bleibt man an einem der 14 Lieder hängen - um es wieder und wieder auf sich wirken zu lassen. Das liegt auch an der Musik, vor allem aber an den bemerkenswerten Liedtexten von Sänger und Gitarrist Marcus Pawis. Die bestechen durch ihre hohe literarische Qualität: Hier trifft genaue Beobachtungsgabe auf unverbrauchte sprachliche Bilder.
„Texte sollten die Musik nicht nur illustrieren, sondern ein Eigengewicht haben, was, zugegeben, im Deutschen schwierig ist“, erklärt Pawis. Den Lichte-Liedern darf man aber attestieren, dass es sich bei ihren Texten nicht um Beiwerk für eingängige Melodien handelt, sondern vielmehr um vertonte Gedichte. Um zu verstehen, was das meint, höre man etwa ein Lied wie „Ein Affe, der Shakespeare schreibt“.
Lichtes Deutschrock, das mag überraschen, entsteht nicht in einer großen Stadt, sondern auf dem flachen Land. „Lichte ist eine Band aus Gleina (West) im Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt. Sie ist Anfang dreißig, berufstätig und Vater von mindestens fünf Kindern. In einem Labor neben der Dorf-Disko entwirft sie die Hits der Dekade.“
Licht und auch Lichtung
So stellt sich die Formation im Heft zur CD selbst vor; so viel Selbstironie machen Philipp Steidl, Marcus Pawis, Martin Salzmann, Sandro Sperk und Dirk Ziegler noch sympathischer. Die Musiker nennen ihre Band Lichte, weil der Name vielerlei Assoziationen ermöglicht: „Licht und Lichtung schwingt da ebenso mit wie etwa lichte Höhe und lichtes Haar“, erklärt Pawis.
Die aktuelle CD - die voraussichtlich im November auf einer Tour durch Nord- und Ostdeutschland vorgestellt werden soll - ist Teil eines kleinen Gesamtkunstwerkes: Sie steckt nicht in einem schnöden Plaste-Cover, sondern in einem aufwendig gestalteten Begleitbuch. Es ist ein edler Lyrikband, den melancholische Farbfotos von Philipp Baumgarten illustrieren. Der Künstler aus Zeitz dokumentiert in seinen Bildern die Veränderungen in der mitteldeutschen Provinz und im ländlichen Raum.
Verschwimmende Grenzen: Liedtexte oder Lyrik?
Marcus Pawis’ Liedtexte und deren herausgehobene Wiedergabe in einem 42-seitigen Buch führen fast zwangsläufig zu der Frage, ob der Lichte-Frontmann auch Ambitionen als Lyriker hat? In diesem Punkt trifft man bei dem Musiker tatsächlich einen Nerv: Er arbeite in freien Augenblicken nicht nur an Liedtexten für ein neues Album, sondern sei auch im Begriff, Gedichte aus den vergangenen zehn Jahren zu sichten, die in einem Band erscheinen sollen.
Das aber werde gewiss noch eine Weile brauchen, erklärt Pawis. Denn der studierte Veranstaltungsmanager vom Jahrgang 1986, der erst vor wenigen Wochen Vater geworden ist, arbeitet in einer Leipziger Agentur und an den Wochenenden oft und gern im familieneigenen Betrieb.
Wer bei der Erwähnung des Namens Pawis aufhorcht, ist gewiss ein Weinfreund. Die Familie führt in Zscheiplitz bei Freyburg ein Weingut, das wegen seiner edlen Rot- und Weißweine einen guten Ruf genießt. „Ich bin im Weinberg und im Weinkeller aufgewachsen“, sagt Pawis. Dort ist er noch immer häufig anzutreffen, wenn er Veranstaltungen und Weinproben moderiert.
Mit den Ringen des Saturns
„Wein hat viel mit Kultur zu tun“, lautet Pawis’ Credo, der sich vorstellen kann, in ferner Zukunft mit seinem Bruder die Geschäfte des elterlichen Weingutes zu führen. Gibt es für ihn einen Liebling unter den Pawis-Weinen?
„Eigentlich gibt es für jeden Anlass einen Wein“, erklärt der Weinexperte im Musiker. Er würde aber im Sommer einen Bacchus oder Weißburgunder empfehlen. Pawis’ Favorit auf dem neuen Album - denn das wechselt - ist dieser Tage „Die utopischen Wissenschaften“.
Es ist eine humorvolle Hommage an die Wissenschaften: Hier sitzt man „auf der Spitze von Maslows Pyramide“ und tanzt „Hula mit den Ringen des Saturns“, derweil „noch Ursuppe im Kühlschrank“ steht. Und einen Satz wie „Wo ein Körper ist, kann gleichzeitig kein anderer sein / Wir kopulieren das Gegenteil“ hat man im Physikunterricht so auch noch nicht gehört.
Die rockigeren Stücke auf „Dekade“ erinnern an Ton, Steine, Scherben, die ruhigeren an die Lieder von Gerhard Gundermann. Sowohl Rio Reiser als auch der singende Baggerfahrer waren großartige Musiker und Texter. Gut möglich, dass man Ähnliches auch einmal über Marcus Pawis und Lichte sagen wird.
››Lichte live: am 25. August beim Weinkultor-Festival in Naumburg
Mehr zur Band im Netz unter: www.lichte-musik.de
(mz)