Leichtigkeit gefällig? Leichtigkeit gefällig?: Ernst Paul Dörfler über den Zusammenhang von Mensch und Natur

Wittenberg - Eigentlich sollte es an die Elbe gehen. Für deren natürlichen Erhalt - und damit gegen ihren Ausbau als Schifffahrtsstraße - kämpft Ernst Paul Dörfler seit Jahrzehnten. Die durch Trockenheit bedingten niedrigen Wasserstände dieses und des vorigen Sommers geben dem Natur- und Umweltschützer zusätzliche Argumente. Über die kann er sich angesichts des dahinter stehenden, offenkundigen Klimawandels, der zunehmend beängstigende Tatsachen schafft, freilich nicht freuen.
Der Gang von der Wittenberger Luthereiche zum Fluss fällt dann allerdings buchstäblich ins Wasser. Ein heftiger Gewitterguss von 15 Minuten, den man in heutiger Sprache „Starkregen“ nennt, durchnässt die beiden Gesprächspartner bis auf die Haut. Zum Glück ist es ja ein warmer Regen, der im Übrigen den Pegel der Elbe nicht mal um einen Millimeter erhöhen wird, wie Dörfler nüchtern sagt. Ein Tropfen auf den heißen Stein, sozusagen.
So landen wir in der Cafeteria eines Sportwarenhändlers, immerhin mit fantastischem Blick auf den Strom. Da lässt es sich gut reden. Und trocknen. Dörfler, ein ebenso hartnäckiger wie freundlicher Charismatiker mit Wetterhut und Sandalen, ist auf einem Bauernhof bei Kemberg groß geworden, wo er 1950 geboren wurde. „Wir haben in der Natur und von der Natur gelebt“, sagt er. Sein Vater, nach Kriegsende aus Böhmen vertrieben, hatte sich hier eine neue bäuerliche Existenz aufgebaut.
Bewegung in kleinen Kreisen
Damit war 1960 Schluss, als die Kollektivierung der Landwirtschaft durchgesetzt wurde. Ein Schnitt, den der Mann nicht mehr verkraftet hat. Sein Sohn studierte Chemie in Magdeburg und wurde auch promoviert in seinem Fach. Heute lebt er im Unesco-Biosphärenreservat Mittelelbe. „Ich habe mich immer in kleinen Kreisen bewegt“, sagt Dörfler. Wie die Vögel, die lebenslang in ihre Herkunftsregion zurückkehren, hielte es auch die Hälfte aller Menschen so.
„Nestwärme. Was wir von Vögeln lernen können“ heißt sein aktuelles, bei Hanser in München erschienenes Buch, das sich wochenlang in der „Spiegel“-Bestsellerliste hielt - und gute 40 Jahre später an den frühen Erfolg von Dörflers „Zurück zur Natur“ anschließt.
1986, nach drei Jahren zähen Ringens mit der Zensur, die es in der DDR offiziell ja gar nicht gab, kam das Buch im Urania-Verlag Leipzig heraus. Ein Renner damals, weil es dergleichen im Osten nicht zu lesen gab.
Schweigen über die Fakten
Was war geschehen bis dahin? Dörfler hatte eine verheißungsvolle Karriere als Ökochemiker beim Institut für Wasserwirtschaft in Berlin und Magdeburg nach fünf Jahren selbst beendet. „Ich war ein informierter Bürger mit Schweigegelübde“, sagt er über diese Zeit, während der er unter anderem an einer Pestizidstudie gearbeitet hatte. Alle Fakten auf dem Tisch zu haben, aber nicht über den Dreck reden zu dürfen - das war zu viel an Hybris für den Wissenschaftler mit Veränderungsdrang. „Ich wollte mein Wissen teilen“, beschreibt Dörfler sein Motiv: „Ich wollte eine eigene Institution sein.“
Bevor er das wirklich umsetzen konnte, lebte er zunächst ein paar Jahre als prekärer Freiberufler, der keine Krankenversicherung hatte, aber dafür das Ministerium für Staatssicherheit im Nacken. Die Stasi-Leute haben seine Wohnungen abgehört, Spitzel geschickt, Zersetzungsversuche gestartet und Ostjournalisten unter Druck gesetzt, auf keinen Fall mit diesem Dörfler zu reden oder ihn auch nur zu erwähnen. Das ganze fiese Programm, aber der kämpferische Natur- und Menschenfreund hat sich nicht kleinkriegen lassen.
Nach der Buchveröffentlichung ging es ihm besser, nun war zumindest der Sozialstatus geklärt. Doch wirklich frei bewegen konnte er sich, wie so viele, die die Welt verändern wollten, erst, als die DDR endlich am Ende war. Die Probleme der Umwelt waren damit freilich nicht gelöst. Allerdings kippte das Interesse an solchen Themen für die ersten zehn Jahre nach Mauerfall und Einheit fast ins Bodenlose. „Der Westen sieht gut aus und riecht gut, fanden die Leute“, erinnert sich Dörfler. Jetzt hat sich die Problemsicht wieder geschärft, der Autor kann sich nicht über fehlenden Zulauf beklagen.
„Aber jede Art hat ihren Job im Ökosystem“
„Es dämmert den Menschen, sie spüren ja die Hitze, die Trockenheit.“ Dörfler ist sich gewiss, dass sich etwas ändern muss - und dass es ein langer Weg sein wird, bis sich wirklich etwas tut. „Den Klimawandel finden die Leute schlimmer als das Sterben von Insekten und Vögeln“, sagt er: „Aber jede Art hat ihren Job im Ökosystem.“ Darin hänge alles mit allem und allen zusammen, die Menschen eingeschlossen.
Nicht zu vergessen die Bedrohung unserer Wälder durch Trockenheit, Schädlingsbefall und Stress. Das heißt: Wer nicht auf sich und andere achtet, wird auch nichts für eine gesunde Umwelt tun. Und umgekehrt: „Wer sich selbst etwas Gutes tut, wird auch der Natur ein Verbündeter sein.“ Dörfler sieht die Dinge und Prozesse aus seiner Erfahrung ganzheitlich. So argumentiert er auch. Klar und eindeutig. Aber nicht ohne Verständnis etwa für konventionell wirtschaftende Landwirte, die unter großen Preisdruck produzieren müssten.
Aber es wird nichts helfen, ist Dörfler überzeugt: Gerade die Bauern trügen durch Überdüngung der Ackerflächen und den Einsatz von Unkrautvernichtern maßgeblich zum Artensterben bei. Neben dem hoch umstrittenen Glyphosat gebe es noch Hunderte anderer Produkte, die Umwelt und Menschen gefährden. „Wir können unsere Nahrungsmittel auf Dauer nicht mit Gift erzeugen“, lautet Dörflers Fazit.
Ausweg ohne Alternative
Den alternativlosen Ausweg sieht er in einer noch stärkeren Hinwendung zu ökologischem Landbau. Dörfler nennt darüber hinaus drei komplexe Schwerpunkte, an denen sich etwas ändern müsse: Wir sollten Energie sparen und weniger verbrauchen. Das schließe zwingend ein, das Vernichten von Lebensmitteln einzustellen.
In Frankreich ist man in dieser Hinsicht schon weiter, Deutschland hinkt nach: „Ein Drittel der Nahrung schmeißen wir weg.“ Ein weiterer Punkt ist, eine möglichst klimaneutrale Mobilität zu erreichen. Und schließlich: Jeder sollte sehen, das er wieder in Kontakt zur Natur kommt, deren Teil wir alle sind.
Hier wird dem Prediger keiner widersprechen. Aber wer ist auch zum Handeln bereit? „Man muss eine Schwelle überwinden“, sagt er. Dagegen stünden die Suchtstrukturen, die uns beherrschen, wie die maßlose Kaufsucht: „Die aber kann man auch überwinden und man lebt viel entspannter, mit mehr Leichtigkeit.“
Medienstimme zum Klimawandel
In der niederländischen Zeitung „de Volkskrant“ heißt es zum eben veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarates IPCC:
„Um die Erderwärmung auf rund zwei Grad zu begrenzen, sagt der IPCC, braucht die Welt eine viel nachhaltigere Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Damit bekräftigt das Gremium bekannte Aufrufe von Umweltorganisationen und Analysen von Wissenschaftlern. Sonst gerät - bei einer immer noch weiter wachsenden Weltbevölkerung - die Ernährungssicherheit in Gefahr.
Wir müssen eine nachhaltigere, umweltfreundliche Landwirtschaft entwickeln, weniger Fleisch essen ... und wir müssen etwas gegen die enorme Verschwendung von Lebensmitteln tun: Ein Drittel der weltweiten Nahrungsgüterproduktion wird vergeudet.“ (mz)