Legende Legende: Glühende Gießkanne
HALLE/MZ. - Links stand der ehrwürdige Ronnie Drew, ein Gentleman in dunklem Zwirn, mit weißem Wallebart und Stentorstimme, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Drew, der Chef der irischen Folklegende The Dubliners, sang den "Irish Rover", gesittet wie stets. Rechts neben ihm aber zappelte eine Art Gegenentwurf: ein Riese mit Segelohren, im Mund Zahnstummel, in der Hand eine Zigarette, im Hals eine Stimme aus Whiskey und rostigem Blech. Der "Rover" klang bei ihm nicht mehr wie ein Traditionsschiff aus poliertem Holz, zusammengeschraubt im 18. Jahrhundert. Sondern wie ein Stück akuter Rock, der Gegenwart ins Gesicht gespien.
So trat Shane MacGowan vor knapp einem Vierteljahrhundert auf die Bühne der Pop-Welt, die gerade in Synthieklängen und Hardrock schwelgte. Bei MacGowan und seiner Band The Pogues hingegen gab es Mandolinen, Flöten und Instrumente wie die Thin Wistle, keine Schminke, keine Kostüme, keine Tänzer. Dafür aber wilde Tänze und Ströme aus Whiskey, wie sie später ein Lied nannten. In nur zwei atemlosen Jahren gelang es dem siebenköpfigen Ensemble aus Dublin, die traditionelle irische Folklore im Alleingang aus der Volksmusikecke zu holen und auch in der damaligen DDR zum Soundtrack der Gegenkultur zu machen. Gruppen wie Notentritt,
die Gevatterncombo um den Quedlinburger Jens-Paul Wollenberg, Schreihals aus Halle oder die später als Inchtabokatables erfolgreichen Tippelklimper ließen sich von den Iren inspirieren, der Regisseur Frank Castorf gehörte zu den Fans.
Im Unterschied zu ihren DDR-Epigonen allerdings lebten die in der Person ihres Sängers ein Rockstar-Leben wie im Bilderbuch. Shane MacGowan, als Sohn irischer Eltern in der Grafschaft Kent geboren und mit 14 wegen Drogenbesitzes von der Schule geworfen, versank in einem Sumpf aus Suff und Drogen. In lichten Momenten brachte er grandiose Lieder wie "Fairytale Of New York" mit Gießkannenstimme zum Glühen, seine Band ging mit U2 auf Tour, mit Elvis Costello ins Studio und seinem Idol Joe Strummer (The Clash) in den Pub. An schlechten Tagen aber schien der Fan des irischen Dramatikers Brendan Behan die Prophezeiung seines Liedes "I'm A Man You Don't Meet Every Day" erfüllen zu wollen: "Ich bin kein Mann, den Du jeden Tag treffen möchtest."
MacGowan fiel volltrunken von der Bühne, er verpasste Auftritte und Studiotermine, in Konzerten vor ausverkauften Stadien fehlte ihm plötzlich jede Erinnerung an seine Texte. "Seit ich 14 war", gestand er damals halb zerknirscht, halb aber auch stolz auf die eigene Leistung, "bin ich eigentlich keinen Tag nüchtern gewesen." Nur die Tatsache, dass inzwischen sowieso alle Welt "Dirty Old Town" und "Summer in Siam" singen konnte, rettete die Auftritte. Anfang der 90er Jahre trennten sich die restlichen Pogues schließlich von ihrem Gründer und Anführer. Mehrmals führte Peter "Spider" Stacy, der Mann an der Thin Whistle, die Pogues als Sänger auf Tour. Mitte der 90er begeisterte die durch Ex-Clash-Sänger Strummer verstärkte Rumpfbesetzung auch bei Konzerten auf der halleschen Peißnitz und im Leipziger Haus Auensee. Von Shane MacGowan, nach seinem Rauswurf eher wenig erfolgreich mit seiner eigenen Truppe The Popes unterwegs, erwartete alle Welt nur noch die Mitteilung, dass er die Bühne nun für immer verlassen habe.
Doch Totgesagte leben länger und plötzlich ist Shane MacGowan wieder zurück im Schoß seiner alten Combo. Neue Zähne hat er sich machen lassen, das Haar wallt wild, doch die kipplige Quartalssäuferstimme, gegen die Finstersänger wie Nick Cave und Johnny Cash wie Wagner-Tenöre klingen, ist immer noch da, zuverlässig direkt neben dem richtigen Ton.
The Pogues & Shane MacGowan live am 5. August, Parkbühne Leipzig